Die Schweiz wandert im Saanenland

  25.08.2022 Tourismus, Gesellschaft, Kultur, Politik, Gemeinde, Gstaad, Business, Volkswirtschaft, Tourismus, Sport, Gewerbe, Event, Natur, Landwirtschaft, Wirtschaft, Region, Destination, Hotellerie / Gastronomie, Berner Oberland, Ausstellung, Klima, Reisen

Akteure aus allen touristischen Regionen der Schweiz haben sich während zwei Tagen im Saanenland einquartiert, um über die Chancen und Herausforderungen des Wandertourismus zu diskutieren. Kann wandern klimaneutral sein? Und kann eine Koexistenz zwischen Wanderern und Bikern erreicht werden oder ist dies nur eine Wunschvorstellung? Wir haben beim ersten Schweizer Wandergipfel reingeschaut.

JOCELYNE PAGE
Hemd, Bluse, Lederschuhe und High Heels blieben bei diesem Kongress zu Hause im Schrank. Stattdessen sind die Teilnehmenden mit Rucksack und Wanderschuhen angereist, um am ersten Schweizer Wandergipfel in Gstaad teilzunehmen. Graubünden, Wallis, Zug, Zürich, Bern, Nidwalden, Appenzell: Akteure aus allen Schweizer Tourismusregionen haben sich im Saanenland getroffen, um gemeinsam über die Trendsportart der letzten Jahre zu sprechen und den Dialog zwischen Tourismusund Wanderorganisationen zu fördern. Neben der Teilnahme an klassischen Referaten in den Sälen der Hotels Gstaad Palace und The Alpina Gstaad wanderte die Teilnehmergruppe für den angeregten Ideenaustausch umher, beispielsweise um den Lauenensee. Gemeinsam mit Partnern wie dem Verband Schweizer Wanderwege hat Gstaad Saanenland Tourismus die Kongresstage organisiert (wir haben berichtet).

Konzepte teilen
Die Themen waren vielfältig und orientierten sich an den Herausforderungen und Chancen, die der Wandertourismus für die einzelnen Regionen bereithält. Es gab beispielsweise Tipps und Tricks zur Sensibilisierung betreffend Herdenschutzhunden und Mutterkühen, Gespräche über internationale Wandergäste, Bedürfnisanalyse der Weginfrastruktur, Ratschläge für gezielten Naturschutz trotz touristischer Nutzung oder ganz einfach die Klärung der Frage: Kann Wandern «sexy» sein?

Ein Thema, welches für angeregte Diskussionen sorgte, war die Koexistenz von Wanderern und Mountainbikern (siehe Kasten links). Luzi Bürkli, Leiter Unternehmenskommunikation bei Graubünden Ferien, präsentierte den Anwesenden den «Bündnerweg», wie er es nannte. Dieser beruhe auf den zwei Grundsätzen Koexistenz und Entflechtung. Auf den Bündner Wanderwegen sei das Biken erlaubt, solange kein ausdrückliches Verbot bestehe. Die Kommunikation sei dabei wichtig, indem die Verhaltensregeln mittels verschiedener Kanäle verbreitet würden. So hat Graubünden Ferien die Kampagne «Fairtrail» ins Leben gerufen, die für ein respektvolles Miteinander auf Wanderwegen und Trails wirbt.

Platz schaffen für alle
Reicht eine Sensibilisierungskampagne, um rote Köpfe in den Bergen zu vermeiden? Bürkli projizierte die Aufschrift «Platz hat es genug, man muss ihn nur machen» auf die Leinwand. Er wisse, die Aussage sei provokativ. «Die Koexistenz braucht eine gewisse Entflechtung.» Zu Konflikten komme es oftmals dort, wo es stressig und eng werde, pflichtet ihm Marc Schlüssel, CMO von Lenzerheide Marketing und Support AG, bei. Seine Region habe deshalb 1,8 Millionen Franken investiert, um an bestimmten Stellen Alternativen für die Mountainbiker zu schaffen. Bereits in der Anfangsphase sei das konstruktive Gespräch mit den Landeigentümern essenziell. «Es bedeutet für sie zwar mehr Arbeit, da sie mehr Land einzäunen müssen. Jedoch hat sich gezeigt, dass weniger Landschäden durch Biker entstanden sind und auf den Forststrassen gibt es weniger Probleme. Denn die Biker nutzen die Wege und bleiben darauf», erzählt Schlüssel.

Ein weiteres zentrales Element sieht er in der Besucherlenkung und der Angebotssteuerung. «Wir müssen schauen, dass beide Gruppen nicht am gleichen Ort sind.» Indem dem Wanderer eine Höhenroute schmackhaft gemacht werde, bewerbe man beim Biker den Park oder die Trails. «Wir setzen über eine App Anreize, indem wir Wettbewerbe starten.» Nutzerinnen und Nutzer können sich einem virtuellen Clan anschliessen und Kilometer sammeln – das bessere Team gewinnt. «Dies machen wir in der Peripherie. Denn unser Netz reicht bis Arosa und Chur», so Schlüssel.

Auf die Frage eines Kongressteilnehmers, wie der Tourismus in der Lenzerheide reagiere, sollten die Verhaltensregeln von den Bikerinnen und Bikern nicht eingehalten werden, antwortete Schlüssel: «Grösstenteils halten sich die Leute an die Regeln.» Massregelungen seien nicht nötig. Das Konfliktpotenzial könne klein gehalten werden, indem «die Alternative derart spannend ist, dass es für Biker gar keinen Grund mehr gibt, sich Wanderwege auszusuchen».

Klimawandel birgt Herausforderungen
Neue Wanderwege und Biketrails in den Bergen realisieren, um allen Interessengruppen mehr Raum zu geben, ist ein Ansatz. Es stellt sich allerdings die Frage: Lässt dies die Natur in der Gegenwart und besonders in der Zukunft noch zu? Der Klimawandel halte für den Tourismus eine positive Seite bereit, sagte der gebürtige Saanenländer und ETH-Professor Dr. Reto Knutti: Die Anzahl Schönwettertage während des Sommers würden zunehmen und die Leute in die Berge flüchten, weil sie dort angenehmere Temperaturen antreffen – eine gute Voraussetzung für den Wandertourismus. Die Kehrseite der Medaille: «Die Veränderungen sind deutlich sichtbar. Die Berge sind schwarz», so Knutti. Die Naturgefahrensituation werde sich akzentuieren: schmelzende Gletscher, Hanginstabilitäten, schwindender Permafrost, Felsstürze, Steinschläge, Erosion durch hohe Wassermengen und Trockenheit. Gewisse Wege würden nicht mehr begehbar sein. Für vieles werde es eine infrastrukturelle Lösung geben, die allerdings mit hohen Kosten verbunden sei.

Wie kann also der Tourismus helfen, den fortschreitenden Klimawandel aufzuhalten? Dekarbonisierung, so Knutti – die Reduzierung von Kohlendioxidemissionen. Um die Klimaziele und die fortschreitende Klimaerwärmung zu stoppen, muss bis 2050 das Netto-Null-Ziel erreicht werden: Es dürfen nicht mehr Emissionen produziert werden, als aus der Atmosphäre entzogen werden kann. «Der grösste Teil der Emissionen stösst der Verkehr aus. Der Strassen- und Flugverkehr zusammengerechnet macht die Hälfte aus», erklärt der ETH-Professor. Es sei deshalb eine grosse Herausforderung, zu einem nachhaltigen Tourismus zu gelangen, wenn die Gäste individuell mit dem Auto oder mit dem Flugzeug aus Übersee anreisten. «Ich habe den Eindruck, dass es Destinationen und Menschen gibt, die wahnsinnig innovativ sind. Und andere sind da noch ein bisschen zurückhaltend.» So oder so, «diese Thematik wird uns überrollen», ist das Fazit von Knutti.


Fünf Fragen an Nik Hartmann

Der TV-Moderator und leidenschaftliche Wanderer Nik Hartmann führte die Teilnehmenden durch die Referate und Workshops beim ersten Schweizer Wandergipfel. Für ihn ist es ein Besuch in eine Region, in der er schon viel erlebt hat.

INTERVIEW: JOCELYNE PAGE

Vor ein paar Jahren wanderten Sie für das Schweizer Radio- und Fernsehen SRF die Via Alpina von Vaduz bis Montreux. Eine Etappe führte auch durch das Saanenland. Bleibende Erinnerungen?
Nik Hartmann:
Ja, es war super, denn ich traf auf wunderschönes Wetter im Saanenland. Was mir aber besonders in Erinnerung blieb: Ich habe mir immer vorgestellt, dass ich einst auf der Via Alpina vor einer Alphütte sitze und Pfeife rauche. Ich hatte aber keine dabei und auf der ganzen Route traf ich auf keinen einzigen Pfeifenladen. In Gstaad wurde ich endlich fündig. Ich lief eine Viertelstunde vor Ladenschluss in den Tabakladen und die haben mich bestens beraten. Sie waren extrem freundlich und aufmerksam. Und seitdem rauche ich Pfeife. Heute klappt es auch beim Stopfen der Pfeife, da hatte ich anfangs grosse Schwierigkeiten (lacht).

Kannten Sie denn die Region schon?
Ja, ich kenne das Saanenland gut. Ich war für Livesendungen schon in der Region. Zudem arbeitete ich während fünf Jahren als Speaker beim Beachvolleyballturnier in Gstaad. Mein Honorar war ein Doppelzimmer für eine Woche, meine Frau hat mich immer begleitet. Sie ging wandern, ich war am Speakern. Das ist aber schon lange her, denn es war vor meiner Zeit beim Fernsehen.

Nun sind Sie wieder zurück und moderieren den ersten Schweizer Wandergipfel. Mit welchen Erwartungen sind Sie angereist?
Ich habe mich gefreut, Leute wiederzutreffen und neue kennenzulernen. Zudem war ich gespannt auf die präsentierten Innovationen und Ideen rund ums Wandern und den dazugehörigen Tourismus. Ich habe aber auch den Anspruch an mich gestellt, nicht nur zu konsumieren, sondern auch etwas beizutragen.

Welche Bedeutung hat denn das Wandern für Sie?
Wenn ich wichtige Entscheidungen treffen muss oder Ideen brauche, wandere ich. Ich bewege mich gerne vorwärts, aber in einem angenehmen Tempo. Ich bin fasziniert von der Tätigkeit, denn wenn man sich regelmässig verpflegt und die richtige Geschwindigkeit wählt, kann man ewig laufen. Es ist das Natürlichste überhaupt.

Zum Schluss: Welches ist Ihre liebste Wanderroute?
Am liebsten bewege ich mich über 1000 Metern über Meer. Dort befindet sich meine Wohlfühlzone. Ich muss nicht unbedingt auf einen Gipfel steigen. Ich mag allerdings Aussichten und ein Panorama vor mir. Manchmal reicht auch nur schon ein zwanzigminütiger Morgenspaziergang mit meinem Hund auf einen «Hoger», unter dem sich der Zugersee erstreckt. Es ist jedes Mal einfach nur schön.

JOCELYNE PAGE


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