Pfingsten – wie bitte? Ich verstehe gar nix!
17.05.2024 Region, KircheMomente, in denen ich andere Menschen nicht verstehe, erlebe ich oft: in fremden Ländern, bei Fachgesprächen, wenn Netflix auf eine andere Sprache umgestellt ist oder wenn aneinander vorbeigeredet wird. Fast wie in der alttestamentlichen Geschichte des Turmbaus zu Babel, als keiner den anderen mehr verstand. Vom Gegenteil erzählt uns die Bibel beim Pfingstereignis.
Aber was ist Pfingsten eigentlich? Verstehen wir, um was es geht?
Entgegen der landläufigen Meinung ist Pfingsten nicht ein rein christliches Fest. Auch im Judentum hat Pfingsten (50 Tage nach Pessach) eine Bedeutung. Es heisst Schawuot und erinnert an den Empfang der Tora am Berg Sinai und das Versprechen Gottes an die Israeliten, ihnen ein gesegnetes Land zu geben. Die Tora (die fünf Bücher Mose) enthält die Grundlagen und Gesetze und ist das wichtigste heilige Schrifttum des jüdischen Volkes.
Mit dem Christentum wurde Pfingsten (50 Tage nach Ostern) zum Fest des Heiligen Geistes. Die Bibel erzählt uns, dass der Heilige Geist die Jünger, die eben noch mutlos und ängstlich gewesen sind, an Pfingsten mit grosser Kraft bewegt. Plötzlich sprechen sie mit all den Menschen in Jerusalem in deren Muttersprache. Sie erzählen die gute Nachricht – sie berichten von ihren Erlebnissen mit Jesus Christus. Jeder, der sie hört, kann die Jünger verstehen. Viele lassen sich taufen. Die Kirche ist geboren.
Heute feiern wir das Pfingstfest mit besonderen Gottesdiensten. Als liturgische Farbe wird häufig Rot verwendet, um das Feuer und die Energie des Heiligen Geistes zu symbolisieren. Andere Bilder für den Heiligen Geist sind neben Taube und Feuer auch der Sturm oder der sanfte leise Hauch («der Heilige Geist weht, wo er will»).
Liebe Leserin, lieber Leser
Ich denke, wenn wir um den Geist Gottes bitten, dann heisst dies, um die Fülle aller Gaben Gottes zu bitten, wie wir und unsere Zeit sie brauchen. Es ist also positiv, dieses Fest zu Ehren des Heiligen Geistes – und doch macht mir Pfingsten manchmal etwas Bauchweh…
Gerade weil wir Pfingsten auch das Geburtsfest der Kirche nennen. Wir feiern den Anfang der Mission aus Israel weg in die damalige bekannte Welt. Und immer wieder höre ich, dass Begriffe wie «Kirche» und «Mission» die Leute nicht gerade zum Feiern animieren.
«Kirche» steht für viele Menschen für Kreuzzüge und Bevormundung. Sie denken ans Mittelalter, an den Ablasshandel, an Macht und Missbrauch. Und mit dem Begriff «Mission» ist es auch nicht besser. Für moderne Ohren tönt Mission nach Kolonialismus, Gewalt, Unterdrückung und Fundamentalismus.
Aber was bedeutet Pfingsten für uns? Was bedeutet Pfingsten für dich und für mich? Hier und jetzt?
Gehen wir zum ersten christlichen Pfingstfest zurück. Das Pfingstfest findet 50 Tage nach Ostern statt: 50 Tage nach der Auferstehung und dem Sieg des Lebendigen über den Tod. Die Urgemeinde in Jerusalem hat später Ostern bewusst gleichzeitig wie Pessach gefeiert. An Pessach feiern wir gemeinsam mit den Jüdinnen und Juden die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei. 50 Tage später folgt an Schawuot das Gedenken an den Empfang der zehn Gebote. Pessach und Schawuot – Freiheit und Torah in 50 Tagen. Aber was hat denn Pfingsten mit Schawuot zu tun? Gerade mit Geboten, Gesetzen und Ordnungen ist es ja so eine Sache: Wir Menschen müssen sie verstehen und akzeptieren – sonst halten wir uns nicht daran. Auch wenn sie gut und richtig wären. Somit lernen wir: Gottes Gebote dürfen den Menschen nicht gegenüberstehen. Unser Gegenüber ist Gott selbst. Und aus dieser Beziehung mit Gott können Recht und Gerechtigkeit entstehen. So wie die zehn Gebote übersetzt aus dem Hebräischen ja eigentlich bedeuten: «Weil Gott der Herr dich aus Ägypten geführt hat, wirst du…» Aus dem Bewusstsein einer Verbindung zum Göttlichen, das uns umgibt, erwächst eine neue, gerechtere Handlungsweise. Hoffen wir.
Und damit wären wir – zumindest für mich – bei einem wirklichen Grund, Pfingsten als Hochfest zu feiern: Wir feiern die Gegenwart des Heiligen Geistes, die mich Gott fühlen lässt. In mir drin. Pfingsten als Fest, das mir bewusst macht, dass ich als Mensch ein spirituelles Wesen bin – verbunden mit der Liebesmacht «Gott», die die ganze Welt in Händen hält. Meine innere Stimme, die ich verstehe. Die meine Sprache spricht. Meine innere Stimme, die die Sprache des Vertrauens spricht. Die Sprache der inneren Sehnsucht nach Lebensfülle und Gemeinschaft, erfüllt vom Geist der Kraft und Liebe.
Damit wird für mich Pfingsten zu einem wichtigen Fest in der Kirche. Eine Kirche nach Pfingsten ist für mich eine Kirche, in der die Menschen auf die liebevolle Stimme in sich hören und sich um das, was sie gehört haben, versammeln. Gemeinsam versuchen sie, den Stimmen, die sie hören, zu folgen. Und daraus eine mensch- und weltzugewandte Lebensweise erwachsen zu lassen. Das wäre für mich Mission nach Pfingsten. Ein Zuhören. Leise. Oder sogar still. Und ein Handeln aus dem Gehörten. In Liebe gegenüber Geschöpf und Welt.
Frohe Pfingsten!
MARIANNE KELLENBERGER, PFARRERIN
Apostelgeschichte 2, 1–13
Pfingsten: Der Heilige Geist kommt auf die Gemeinde
Als das Pfingstfest kam, waren wieder alle zusammen,
die zu Jesus gehörten.
Plötzlich kam vom Himmel her ein Rauschen
wie von einem starken Wind.
Das Rauschen erfüllte das ganze Haus,
in dem sie sich aufhielten.
Dann erschien ihnen etwas wie züngelnde Flammen.
Die verteilten sich
und liessen sich auf jedem Einzelnen von ihnen nieder.
Alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt.
Sie begannen, in fremden Sprachen zu reden –
ganz so, wie der Geist es ihnen eingab.
In Jerusalem lebten auch fromme Juden aus aller Welt,
die sich hier niedergelassen hatten.
Als das Rauschen einsetzte, strömten sie zusammen.
Sie waren verstört,
denn jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.
Erstaunt und verwundert sagten sie:
«Sind das nicht alles Leute aus Galiläa,
die hier reden?
Wie kommt es, dass jeder von uns
sie in seiner Muttersprache reden hört?
Wir kommen aus Persien, Medien und Elam.
Wir stammen aus Mesopotamien, Judäa und Kappadozien,
aus Pontus und der Provinz Asia,
aus Phrygien und Pamphylien.
Aus Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen,
ja sogar aus Rom sind Besucher hier.
Wir sind Juden von Geburt an, aber auch Fremde,
die zum jüdischen Glauben übergetreten sind.
Auch Kreter und Araber sind dabei.
Wir alle hören diese Leute
in unseren eigenen Sprachen erzählen,
was Gott Grosses getan hat.»
Erstaunt und ratlos sagte einer zum anderen:
«Was hat das wohl zu bedeuten?»
Wieder andere spotteten:
«Die haben zu viel süssen Wein getrunken!»