Das Saanenland soll attraktiver werden für Familien
05.09.2022 Politik, Gesellschaft, Gemeinde, Gewerbe, Saanenland, Saanen, Soziales, FamilieDer Gemeinderat will die Situation für Familien im Saanenland verbessern und hat deshalb ein ganzes Massnahmenpaket zusammengestellt. Zwar stecken die meisten noch in der Planungsphase, aber Gemeinderätin Petra Schläppi bietet Familien bereits heute eine neue Perspektive.
BLANCA BURRI
Der Fachkräftemangel ist in aller Munde. Im Saanenland, in der Schweiz und in Europa. Doch was kann man dagegen tun? Darüber macht sich der Gemeinderat von Saanen derzeit viele Gedanken. Statt das Thema als Zeiterscheinung abzutun, die man nicht beeinflussen kann, nimmt er das Steuer selbst in die Hand: Aus seiner Sicht muss die Gegend nämlich für Familien attraktiver werden, damit sie im Saanenland bleiben oder sich dort niederlassen. Die Familienväter und -mütter sind gern gesehene Fachkräfte.
Herausforderungen sind gross
Doch an was fehlte es bisher, damit sich Familien im Saanenland rundum wohlfühlen? Gemeinderätin Petra Schläppi zählt auf: «Mehr Kitaplätze, ein gutes Gesundheitssystem, erschwingliche und grosszügige Familienwohnungen, ein familiengerechtes Schulangebot, Ausgehmöglichkeiten und Wohnplätze für Lernende, die von auswärts kommen.» Letzteres habe zwar nur indirekt mit Familienpolitik zu tun, nehme aber eine langfristige Perspektive ein. «Wenn sich die Lernenden aus Thun und Bern im Saanenland zu Hause fühlen, bleiben sie uns nach der Lehre vielleicht als Fachkräfte und Bürger erhalten.»
Chinderhuus Ebnit wird erweitert
Vieles ist noch nicht spruchreif, doch ein ganzes Massnahmenpaket sei in der Planungsphase, sagt die Gemeinderätin. Angefangen beim Chinderhuus Ebnit: Es soll sich von der Kitaanbieterin zu einem Kompetenzzentrum für Kinder entwickeln. In einem Anbau sollen zehn zusätzliche Kitaplätze geschaffen werden. Ebenfalls wird das Angebot mit zwei Notfallplätzen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen aus dem Saanenland erweitert. Eine ambulante Familienbetreuung ist ebenfalls vorgesehen. Das Projekt sei weit fortgeschritten, es gebe aber noch einige Herausforderungen. Beispielsweise müssen noch Lösungen für Parkplätze und Zufahrt gefunden werden.
Neue Familienwohnungen in Gstaad
Der Wohnungsmarkt für grosse Familienwohnungen zu bezahlbaren Mieten ist im Saanenland ausgetrocknet. Die meisten Mieterwechsel passieren unter der Hand. Die Stiftung Alpenblick Gstaad plant, beim Ferienhaus Alpenblick 18 Familienwohnungen zu bauen. Zudem plant ein Konsortium einen Genossenschaftsbau auf der Ebnitmatte in Gstaad mit interessanten Familienwohnungen.
Eine familienfreundliche Schullandschaft
Und was muss eine Schule bieten? «Viele Familienväter und -mütter arbeiten im Tourismus, vor allem Migranten», erklärt Schläppi. Und da es im Tourismus im Sommer, während der Schulferien, und über Weihnachten und Neujahr, ebenfalls in den Schulferien, am meisten zu tun gebe, hätten die Eltern genau dann am wenigsten Zeit, wenn die Kinder sie am meisten brauchten. «Wir müssen diese Eltern bei der Kinderbetreuung unterstützen», fordert Schläppi. Deshalb ist eine familienfreundliche Schullandschaft angedacht, mit Tagesschulplätzen auch in den Ferien. Apropos Migration: Die Gemeinde Saanen hat einen Ausländeranteil von 35 Prozent. Schläppi findet deshalb, dass diese Bevölkerungsgruppe in die Entwicklungsprozesse eingebunden werden sollen, damit man ihre Bedürfnisse erkenne und sie besser integriert würden. Denn die Ausländer von heute sind die Einheimischen von Morgen. Bestes Beispiel ist Ignazio Cassis, dessen Grosseltern väterlicherseits aus Italien eingewandert sind.
Gesundheitszentrum in Saanen
Im Saanenland fehlt es nicht nur an Spezialisten wie Kinderärzten oder Psychologen, sondern bald auch an Hausärzten. Grund sind anstehende Pensionierungen – das ist seit langem bekannt. Die Gemeinde Saanen plant nun gemeinsam mit dem Gesundheitsanbieter Medaxo eine Gemeinschaftspraxis im alten Spital Saanen. So wird das bestehende Angebot von Gesundheitstherapien sowie der Spitex erweitert. Ebenfalls sind dort zusätzliche Pflegebetten vorgesehen, ein entsprechendes Projekt, gemeinsam mit einem weiteren Anbieter, sei weit fortgeschritten. Sobald man mehr dazu sagen könne, informiere der Gemeinderat die Bevölkerung im Detail.
Und was soll das alles kosten?
Wie hoch die Kosten für die Massnahmen rund um das Thema Kind, Familie und Gesundheit sind, kann die Gemeinderätin noch nicht sagen, dafür seien die Planungsarbeiten noch zu wenig weit fortgeschritten. Da die meisten Geschäfte an die Gemeindeversammlung kommen, werden die Kosten individuell ausgewiesen und vom Souverän abgesegnet. Doch fragt sich, ob man – wie so oft bei Projekten für Einheimische – über die Höhe der Beträge streiten und vielleicht das eine oder andere gute Projekt aus Kostengründen ablehnen wird. Die Gemeinderätin betont: «Wenn wir für die Fachkräfte fit sein wollen, müssen wir Geld in die Hand nehmen, darum kommen wir nicht herum.»
Weshalb jetzt?
Weshalb befasst sich der Gemeinderat genau jetzt mit all diesen Herausforderungen? «Der jetzige Gemeinderat legt viel Wert auf die Einheimischen», sagt die Gemeinderätin aus Grund. «Wir müssen zur einheimischen Bevölkerung Sorge tragen, damit wir das Saanenland und damit auch den Tourismus weiterentwickeln können.» Die Einheimischen bilden das Rückgrat für ein prosperierendes Saanenland. Wenn aber das Schulsystem, die Wohnsituation etc. nicht auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet sei, zögen sie weg, das habe die Vergangenheit gezeigt, so Petra Schläppi. Der Ausverkauf der Heimat mache ihr besonders grosse Sorgen.
Dem wolle der jetzige Gemeinderat unmissverständlich entgegenhalten. Petra Schläppi verspricht: «Wenn die angedachten Projekte nach Zeitplan umgesetzt werden, wird sich das Saanenland verändern.» Dann werde es für Familien und damit auch für Fachkräfte attraktiv sein. Zwar brauche der Umschwung noch etwas Zeit, aber «ich hoffe, dass uns die Bevölkerung unterstützt».
TIPPS VON DER «KINDERFREUNDLICHEN GEMEINDE» THUN
Die Stadt Thun trägt das Unicef-Label «Kinderfreundliche Gemeinde» und will sich demnächst rezertifizieren lassen. Diese Zeitung wollte wissen, was es braucht, damit sich Familien wohlfühlen. Gemeinderätin Katharina Ali-Oesch, Vorsteherin Direktion Bildung Sport Kultur zählt auf:
1. Gute Schulen und vielfältige Sport-, Freizeit- und Kulturangebote.
2. Finanzierbarer Wohnraum, der den Bedürfnissen von Familien gerecht wird.
3. Familienfreundliche Strukturen, welche die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern, beispielsweise vernetzte Angebote der Frühen Kindheit, finanzielle Unterstützung bei Fremdbetreuung in Kitas und Tagesfamilien (Betreuungsgutscheine), qualitativ hochstehende ausserschulische Betreuung inklusive Ferien.
4. Wirkungsvolle Partizipationsmöglichkeiten, in denen Kinder, Jugendliche und Familien ihre Bedürfnisse anbringen und Veränderungen initiieren können.
5. Ein sicheres und soziales Umfeld wie auch eine gleichberechtigte und zugleich kinderfreundliche Arbeitswelt.
Und eigentlich sei alles, was nicht familienunfreundlich sei, automatisch familienfreundlich. Deshalb habe sich Thun auf die Fahne geschrieben, «eine Stadt für alle zu sein – und damit auch für Kinder und Jugendliche». Eine Stadt sei dann lebendig und bunt, wenn alle ihren Platz darin finden und mitgestalten könnten.
Die Strategie Stadtentwicklung sehe vor, Familien zu stärken, so auch die Beziehungen unter den Generationen, um ein verantwortungsvolles Zusammenleben der Thunerinnen und Thuner allen Alters, aller Lebenssituationen, Nationalitäten, Kulturen und sozialen Schichten zu fördern. Dabei orientiere sich die Stadt an allgemeinen Menschenrechten, der Kinderrechtskonvention, den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs 2030), der Bundesverfassung und auf der konzeptuellen Ebene des Kantons.
Nachgefragt, weshalb Thun konkret familienfreundlich sei, führt die Gemeinderätin unzählige Beispiele auf. Hier eine kleine Auswahl: Thun habe 300 Vereine, ein grosses Angebot an freiwilligem Schulsport, verschiedene Interessensgruppen, die das Quartierleben mitgestalteten, und ein neues Quartierzentrum. Das Spielangebot an verschiedenen öffentlichen Plätzen werde momentan mit Einbezug der jeweiligen Quartierbevölkerung umgestaltet.