Dem Lehrermangel zum Trotz

  15.08.2024 Interview

Diese Woche hat das neue Schuljahr in den Kindergärten und Volksschulen des Kantons begonnen. Trotz des schweizweiten akuten Lehrermangels, gerade in Randgebieten, läuft der Schulbetrieb im Saanenland erstaunlich gut. Wir haben bei Schulleiterin Eva Frautschi nachgefragt, wie alle Beteiligten zusammen diese Herausforderung Jahr für Jahr schaffen.

SONJA WOLF

Eva Frautschi, diesen Montag haben Sie die Tore für Ihre Schüler wieder geöffnet. Haben Sie genügend Lehrkräfte?

Glücklicherweise ja. Wir haben alle Stellen besetzt und – wie ich finde – auch sehr gut besetzt. Wir haben neun Personen neu eingestellt, dabei handelt es sich aber teilweise um Personen, die schon im letzten Schuljahr zeitweilig eingesprungen sind oder als Stellvertretung bei uns tätig waren.

Ich nehme an, dass es auch in diesem Jahr aufgrund des Lehrermangels nicht unbedingt auf jede Vakanz Bewerbungen im Überfluss gab?

Ja, das ist so. Für dieses Schuljahr zum Beispiel hatte ich zwei Klassenlehrpersonen gesucht. Nachdem die Suche eine Zeit lang nicht erfolgreich war, habe ich die Ausschreibung angepasst.

Was genau haben Sie da angepasst?

Sie müssen sich das so vorstellen: Ich beginne schon im Winter zu schauen, wie die Schülerzahlen aussehen und wie viele Lehrpersonen ich zur Verfügung habe. Dann mache ich eine erste Planung mit reinen oder gemischten Jahrgängen – jeweils so, dass die Klassen nicht zu gross werden. Finde ich nun keine Lehrpersonen, dann passe ich die Suche an: Vielleicht ist es leichter, eine Lehrperson für eine reine fünfte Klasse zu finden anstatt für eine gemischte vierte/fünfte? Ich überlege mir generell, was attraktiv sein könnte und schreibe verschiedene Möglichkeiten aus.

Und wenn sich trotz angepasster Suche keine neue Klassenlehrperson findet?

Ich habe zum Glück ein wunderbares Team. Es gibt immer Lehrpersonen, die sich dann für mehr Lektionen zur Verfügung stellen, als sie ursprünglich wollten. So besteht die Möglichkeit, dass sich zwei oder mehr der bereits angestellten Lehrer eine Klasse teilen – oder man bildet eine grössere Klasse mit abteilungsweisem Unterricht und Klassenhilfe. Der Kanton unterstützt die Einstellung von Klassenhilfen jetzt zu Zeiten des Lehrermangels auch grosszügig.

Gab es für dieses Schuljahr einen Notfallplan, falls Sie nicht genügend Lehrpersonal gehabt hätten?

Ja. Die Schülerzahlen der Klassen im Zyklus 2 der Schulhäuser Schönried und Rütti/Gstaad sahen für das neue Schuljahr gut aus. Mit den jeweiligen Schulleitern hatte ich deshalb vereinbart, dass eine Saaner Klasse im äussersten Notfall auf die beiden anderen Schulhäuser aufgeteilt würde. Dazu ist es dank der Mithilfe aller zum Glück nicht gekommen.

Suchen Sie neue Lehrkräfte über das Stellenportal des Kantons Bern?

In erster Linie ja, aber wir brauchen auch Unterstützung vom sozialen Umfeld. Erfolgreich bei der Suche sind wir nur durch Weitersagen, private Gespräche oder Inserate wie im «Anzeiger von Saanen». Denn Stellenausschreibungen auf dem Lehrerportal sehen ja nur diejenigen, die gerade aktiv auf Arbeitssuche sind, ein Inserat in der Zeitung dagegen sieht jeder. Das hilft auch fürs Verständnis der Problematik.

Man liest in den Medien viel über Burn-outs und generell über Lehrpersonen, die sich vom Lehrberuf abwenden. Wie halten Sie Ihr eigenes Team bei der Stange?

Das Wichtigste ist meiner Ansicht nach die Wertschätzung. Ich hoffe, meine Lehrpersonen erhalten ganz viel Wertschätzung durch die Schülerinnen und Schüler und die Eltern. Und was mich betrifft: Meine Wertschätzung gegenüber den Lehrpersonen geht von kleinen Gesten wie einer Rose für jede und jeden am Schulschluss als kleines Merci bis hin zur Berücksichtigung ihrer individuellen Wünsche bei der Lektionenvergabe.

Inwieweit kommen Sie den Wünschen der Lehrpersonen da entgegen?

Ein grosses Stück. Einerseits mache ich es gerne und anderseits ist es einfach auch eine Angelegenheit von Angebot und Nachfrage. Die Lehrer und Lehrerinnen können es sich heutzutage leisten, ihre Wünsche und Anliegen vorzubringen: Manche möchten die Lehranstellung mit anderen– zum Teil saisonalen – Anstellungen unter einen Hut bringen oder mit einer weiteren Ausbildung. Andere möchten nur an bestimmten Tagen unterrichten, da zum Beispiel die Betreuung der eigenen Kinder sichergestellt werden muss. Wieder andere möchten das Pensum aus persönlichen Gründen reduzieren oder haben Vorlieben für bestimmte Fächer. Aufgrund des Lehrermangels gehen die Schulleitungen nun noch mehr auf die Wünsche der Lehrpersonen ein als vorher.

Und wie beugen Sie einer möglichen Überlastung der Lehrkräfte vor?

Ich versuche, die Lehrpersonen nicht unnötig mit administrativen Arbeiten zu belasten und wir erarbeiten das Jahresprogramm zusammen, sodass es für uns alle stimmt. Ich zwinge dem Kollegium auch keine neuen Unterrichtsformen auf, nur weil gerade zu wenige Lehrpersonen da sind. Im Moment wird etwa das «Churer Modell» stark propagiert, bei dem der Lehrer noch mehr als Lerncoach fungiert und sich die Kinder relativ selbstständig durch Lernstationen durcharbeiten. Das ist natürlich praktisch beim allgemeinen Lehrermangel und wird von vielen als Lösung angesehen. Solche neuen Modelle müssen jedoch wachsen und können nicht von heute auf morgen eingeführt werden.

Wie fühlen Sie sich jetzt, wo das Schuljahr begonnen hat und alles gut gekommen ist?

Sehr erleichtert. Denn mein oberstes Ziel ist es, eine gute Situation sowohl für die Lehrpersonen wie auch für die Schülerinnen und Schüler zu schaffen und den Lehrbetrieb trotz Lehrermangels am Laufen zu halten. Wenn wir als Schule nicht genügend Lehrpersonal haben, ist dieses oberste Ziel nicht erreicht. Das ist für mich als Schulleiterin sehr schwierig auszuhalten. Da die gesamte Organisation der Schule – wie zum Beispiel Stundenplan, Wahlfach, Raumbelegung, Tagesschule – vom Finden von genügend Lehrpersonen abhängt, wünschte ich mir für nächsten Frühling, dass der Prozess der Stellenbesetzung wieder einmal früh abgeschlossen werden könnte.

Nun freue ich mich aber erst einmal mit meinem sehr motivierten Kollegium auf ein wunderbares Schuljahr. Vielen Dank an alle!


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