Opernzauber
29.08.2022 Kultur, Kunst, Konzert, Kultur, GstaadDie Vielfalt und Qualität des diesjährigen Menuhin Festivals ist kaum zu überbieten, die Höhepunkte jagen sich. Mit der halbszenischen Aufführung von Mozarts «Zauberflöte» wurde dieser Folge grossartiger Konzerte ein weiterer Glanzpunkt hinzugefügt. Eine Vielfalt von musikalischen und bildlichen Ausdrucksformen liessen die bekannte Oper in einem neuen Licht erscheinen.
KLAUS BURKHALTER
Das Wort «Zauber» durfte an diesem Abend wahrhaftig in den Mittelpunkt gerückt werden, nicht nur beim Titel der Oper. Verzaubert wurde man bereits beim Eintritt in das Festivalzelt, beim Eintauchen in ein gedämpft-bläuliches Licht und angesichts der Waldatmosphäre auf der Bühne. Zauber strömten auch die weiteren Bildfolgen der prächtigen Videoproduktionen aus, welche herkömmliche Theaterbühnenbilder längstens vergessen liessen. Und natürlich lag der Zauber auch in der Musik, beim Erklingen der vielen bekannten Arien und Szenenfolgen in berückender Qualität.
Eine strahlende Oper im Schatten des Todes
Es ist fast unglaublich, was Mozart in seinem Todesjahr 1791 für bedeutende Werke schuf. Nebst dem «Requiem» entstanden zwei Opern und der Meister starb mitten im lang anhaltenden Erfolg seiner «Zauberflöte», fast unbeachtet von Wien und der Welt. Mit Freude hatte er an seinem Singspiel gearbeitet, hatte tiefe, ernste Szenen neben köstliche Komik gestellt, volkstümliche Liedchen neben schwerste Koloraturarien und Belcanto-Melodik. Er brachte in seinen Figuren zum Ausdruck, welch verschiedene Phasen er in seinem Leben durchlaufen hatte: Einerseits die nach Wahrheit, Weisheit und Licht strebenden Personen rund um Sarastro, beeinflusst vom Gedankengut der Freimaurerei, andrerseits die Dunkelheit und niedere Leidenschaften verkörpernden Gestalten bei der Königin der Nacht. Und dazwischen stehen Pamina und Tamino im Ringen um ihre ersehnte Freiheit. Natürlich schuf Mozart auch die volksnahe Gruppe um Papageno, welcher in köstlicher Art um sein materielles Wohl und die alltäglichen Freuden besorgt ist. Mit diesen verschiedenen Seiten erreichte die Oper von Anfang an ein breites Publikum. Viele Arien sind, auch bei Laien, höchst beliebte und bekannte Melodien geworden.
Eine hervorragende Inszenierung
Mit den drei mächtigen Akkorden von Sarastros Reich begann die Oper, gefolgt von enorm schnellen Läufen des Ouvertürenthemas. Dies war gleichsam die Visitenkarte des Orchesters «Les Talens Lyriques» und seines Gründers und Chefs Christophe Rousset, welche in unerhörter Übereinstimmung präzis, hochmusikalisch, einfühlsam und vielfältig im Ausdruck durch den Abend führten. Der Dirigent erreichte eine bewundernswerte Verbundenheit mit allen Ausführenden, auch wenn die Sängerinnen und Sänger oft hinter seinem Rücken standen. Er leitete das Ganze souverän, ohne «Zauberstab», dafür mit Händen und Fingern gestaltend.
Schlag auf Schlag folgten nun die bekannten Melodien, für viele Zuhörende eine Art Bestseller auf höchster Ebene, begeistert aufgenommen und oft mit Szenenapplaus honoriert. Es ginge hier zu weit, alle Ausführenden namentlich zu erwähnen, auch wenn sie es längstens verdient hätten, denn alle sangen ihre Partien hervorragend, rollengerecht und ausdrucksstark. Die drei Damen überzeugten mit ihren glockenhellen Stimmen und liessen sich selbst vom vorübergehend aufs Zeltdach prasselnden Regen nicht beeindrucken. Die «heilige Zahl drei» zeigte sich auch bei den Knaben, verkörpert durch drei Buben der Zürcher Sängerknaben, welche zuerst noch etwas schüchtern, dann aber mit Inbrunst ihre bedeutungsvolle Rolle herzerwärmend verkörperten. Mit der Vogelfängerarie setzte dann der Reigen der beliebten Stücke ein. Christoph Filler als Papageno konnte das Publikum mit seiner fröhlichen, stimmlich intensiven und schauspielerisch köstlichen Darstellung sofort für sich gewinnen. Seine Rolle ist immer wieder ein Ohren- und Augenschmaus. Das Ziel seiner Wünsche erreichte er zum Schluss, wenn er die bezaubernde Papagena, amüsant gespielt von Daniela Skorka, im berühmten «Pa – Pa»-Duett in die Arme schliessen durfte. Gespannt wartete wohl jedermann auf die grossen Arien der Königin der Nacht, die zu den absoluten Herausforderungen für Sopranistinnen zählen. Rocio Pérez wurde dieser Rolle beeindruckend gerecht mit intensiver, auch in den höchsten perlenden Koloraturen differenzierter Stimme. Der Tenor Jeremy Ovenden verlieh seinem Tamino die nötige Innigkeit und Wärme, ausdrucksstark beispielsweise in der «Bildnis-Arie», eher etwas zurückhaltend in den Szenen mit dem Ensemble. Die Rolle der Pamina wurde von Sandrine Piau meisterhaft verkörpert. Mit ihrer anpassungsfähigen Stimme brachte sie alle extremen Situationen eindrücklich auf die Bühne: Die Verzweiflung, der Schrecken, die Trauer und die Sehnsucht erhielten in ihrer Darstellung das nötige Gewicht. Mit der Rolle des Sarastro erfüllte der Bassbariton Alexander Köpeczi alle Wünsche. Als geistiges Oberhaupt seines Weisheitstempels verkörperte er mit seiner souveränen, bis in die Tiefen wohlklingenden Stimme die nötige Ruhe und Abgeklärtheit. Seinen Gegenspieler Monostatos stellte der Tenor Markus Brütscher sehr packend, frech, schauspielerisch und sängerisch äusserst bewegt, dar.
Grossartig wurden die Partien der Chöre eingefügt. Geschickt erschienen die Sängerinnen und Sänger des Ensemble vocal de Lausanne auf der Bühne und erreichten als priesterlicher Männer- oder gemischter Volkschor einen herrlichen Klang, ob gedämpft und belehrend im Hintergrund oder strahlend als jubelnder Dankgesang zum Abschluss.
Die besondere Inszenierung
Die Regie und die Projektionen dieser «Zauberflöte»-Aufführung lagen in den Händen von Benoît Bénichon. Was er als Videodesigner in den Raum zauberte, auch mit den eingeblendeten begleitenden Texten, war schlicht gesagt grossartig, einmalig. Immer wieder wurde man in eine neue Welt getaucht, erlebte man überraschende Lichteffekte, welche den jeweiligen Szenen ihren passenden Hintergrund verliehen. Bilder eines flimmernden Sternenhimmels, von vorbeifliegenden Vögeln, von loderndem Feuer, von den Säulen des Weisheitstempels oder vom roten Licht der Papageno- Liebesszene tauchen als Beispiele in der Erinnerung auf. Geschickt hatte Bénichon den ganzen Operninhalt auf ein verständliches Mass reduziert und so dem grossen Publikum eine «Zauberflöte» der Superlative geboten.
Entsprechend riesig war am Schluss auch die Begeisterung. Mit Ovationen wurden alle Beteiligten gefeiert. «Verzaubert» verliess jedermann das Opernzelt.