Ohne Zweifel: Mozart verträgt Breakdance

  15.08.2022 Kultur, Kunst, Konzert, Kultur, Gstaad, Sport

Mit «Breakin’ Mozart» holte das Gstaad Menuhin Festival & Academy etwas ins Festivalzelt, das es auf dieser Bühne vorher vermutlich noch nicht gegeben hat. Der Untertitel «Klassik meets Breakdance» weckte die Neugier. Nicht nur für die erfreulich vielen Kinder im Publikum war es klassische Musik zum Staunen und Anfassen.

JENNY STERCHI
Es war Zirkus. Es war Tanz und Akrobatik. Und es war Gesangskunst und die Kunst des Klavierspiels. Und Comedy war es auch. Und sicher habe ich etwas vergessen. Denn das Konzert am letzten Samstagabend im Festivalzelt in Gstaad bot Unvorstellbares.

All diese Künste waren eingebettet in die Geschichte, wie Wolfgang Amadeus Mozart eine Reise ins 21. Jahrhundert unternimmt, auf Alltagsformen der Moderne prallt und am Ende herausfindet, dass sich das Leben sowohl zu seiner Zeit als auch 300 Jahre später häufig um die Liebe dreht. Präsentiert wurde diese Zeitreise von sechs Tänzern und zwei Tänzerinnen, Christoph Hagel am Piano und der Sopranistin Darlene Ann Dobisch.

Breakdance als Vermittler
Bereits im Vorfeld liessen zwei Mitglieder der «Dancefloor Destruction Crew» (DDC) kurz aufblitzen, dass Breakdance viel mehr ist als in Turnschuhen herumzuhüpfen und am Boden hin und her zu robben. Sie brachten am Samstagvormittag über 20 Kindern im Rahmen von Gstaad Menuhin Discovery in der Turnhalle in Saanen innerhalb einer Stunde eine Choreografie bei.

Die zwei jungen Herren aus Deutschland hatten die ungeteilte Aufmerksamkeit der Kinder. Immer wieder versuchten die Mädchen und Jungs, ihre Füsse unter dem Körper durchwandern zu lassen, liessen sich nicht ablenken und erhielten sofort ein «Daumen hoch», sobald eine Pose funktionierte oder eine Schrittkombination klappte.

Und ihre Rückmeldung galt etwas. Die beiden Herren gehören zu den 20 Mitgliedern der DDC, die alle in Schweinfurt (Deutschland) zu Hause sind. Aber den Duft der weiten Welt haben die B-Boys und B-Girls, unter denen sich Weltmeister im Breakdance befinden, schon geschnuppert. Auftritte auf Hongkongs Pferderennbahn oder vor dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten Barack Obama gehörten ebenso dazu wie die Präsenz in diversen Fernsehshows. Mit den 170 Veranstaltungen im Jahr können sie vom Breakdance leben. Ihre Experimentierfreude spielt dabei eine wesentliche Rolle. Sie suchen sich Musikstile aus, die dem Breakdance eher fremd sind.

Am Abend begegneten sich dann einige der Kinder im Festzelt auf der Suche nach ihren Plätzen. Die Herren hatten am Morgen offensichtlich mächtig Eindruck gemacht und enorme Neugier ausgelöst.

Crossover wie ein Kontrast der Aromen
So wie mitunter Chili in der Schokoladensauce oder Konfitüre aufs Käsebrot angezweifelt werden, liegt die Verbindung zwischen Mozarts Werken und Breakdance jenseits der Vorstellungskraft. Aber am Samstag passte es – und wie.

Die Takttreue und die Ausdrucksvielfalt der Musik des Wiener Wunderkinds des 18. Jahrhunderts fanden sich sehr gut sichtbar in den Bewegungen der beiden überaus akrobatischen Tänzerinnen und der sechs vor Dynamik strotzenden Tänzern wieder. Die Mischung aus Coolness, Komik und Akribie «schmeckte» dem Publikum ganz köstlich, gab Mozarts Werken verschiedene Gesichter und bot den Kindern einen ungehinderten Zugang zur Musik.

Einzig die Sicht auf das Tanzteam war gehindert dadurch, dass die häufig am Boden präsentierten Posen nur von den vorderen Reihen aus gut zu sehen waren.

Findiger Schöpfer
Am Klavier sass Christoph Hagel. Der Regisseur, Dirigent und Echo-Preisträger, bekannt für seine Crossover-Shows – wie zum Beispiel «Flying Bach» – ist als Produzent der Schöpfer von «Breakin Mozart». Die abenteuerlichen Interpretationen mit dennoch grossem Wiedererkennungswert der Originale machten einfach Spass. «Reich mir die Hand, mein Leben» aus der Oper «Don Giovanni» präsentierte die Annäherung zweier Liebender. Im Programm wurde die erfrischende Version als «Paartherapie» betitelt. Es ist möglicherweise die Transformation in die heutige Gesellschaft, die das Verständnis der Musik von vor 300 Jahren ermöglicht.

Die Sopranistin Darlene Ann Dobisch bediente alles, ausser das Klischee einer Operndiva. Während sie sang, tanzte sie mit den Protagonisten von DDC, schauspielerte und fügte sich fehlerfrei in die Choreografien ein. Und wer die Arie der Königin der Nacht «Der Hölle Rache» aus Mozarts Oper «Die Zauberflöte» kennt, weiss, dass die höchsten Töne an sich eigentlich nicht noch Bewegung der Sängerin vertragen. So wie auch der Rest des Ensembles riss sie das Publikum zum Szenenapplaus hin.

Hanna, ein Mädchen, das sich am Morgen selber im Breakdance versucht hatte, geriet am Abend zur Erkenntnis: «Ich glaube, das ist eine Opernsängerin.» Und kurz darauf lauschte sie wieder andächtig dem Gesang, zerknüllte vor Spannung ihr Kleid, sprang immer wieder auf, um das Treiben auf der Bühne genau verfolgen zu können. Nicht für alle Erwachsenen im Publikum ein Vergnügen. Doch die meisten waren begeistert sowohl von den gebannten Kindern als auch von dieser grandiosen Show, die als Konzert angekündigt worden war, doch vielmehr als Gesamtkunstwerk in vielen Köpfen bleiben wird.


AUCH GEWUSST?

Breakdance ist eine Bewegungsform, die es seit mehr als 40 Jahren gibt. Zu der Zeit wurde Musik von DJs gemacht, die Vinylplatten auflegten und die Möglichkeiten des fliessenden Übergangs zwischen zwei Musikstücken noch begrenzt waren. Junge Menschen füllten mit verschiedenen Posen und Schrittkombinationen diese Pausen. Daraus entwickelte sich Breakdance, mit Powermoves (Drehungen um verschiedenen Körperachsen), Freezes (Verharren in spektakulärer Haltung) und Footworks (Tanzschritte am Boden). Hauptsächlich wird zu Pop-, Funk- und Hiphopmusik getanzt. DDC hingegen hat ihren Schwerpunkt auf Crossover gelegt. Dabei verbinden sie Breakdance mit Schlagermusik, Klassik und Swing. Die B-Girls und B-Boys, wie sich Tänzerinnen und Tänzer im Breakdance nennen, gibt es überall auf der Welt und sie können heute vielfach ihren Lebensunterhalt mit dem Tanzen verdienen. Bei den kommenden Olympischen Sommerspielen in Paris 2024 wird Breakdance eine Disziplin des Wettbewerbs sein.

JENNY STERCHI


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