GSS und Gemeindevorstehende: «Gutachten der Gemeinde Gsteig enthält gravierende Fehler und zieht unzulässige Schlüsse»
07.11.2023 RegionDer Gemeinderat von Gsteig hat am 3. November 2023 ein Gutachten zum Businessplan für das integrierte Versorgungsnetz mit Akutspital in Zweisimmen veröffentlicht (wir haben berichtet). Die Gesundheit Simme Saane AG (GSS) habe den Bericht der von der Gemeinde Gsteig beauftragten Muller Healthcare Consulting eingehend studiert. Das Fazit: «Die Beratungsfirma hat ihr Gutachten aufgrund von Hypothesen, Annahmen und gesamtschweizerischen Branchenkenntnissen erstellt und dabei die regionalen versorgungsrelevanten Gegebenheiten ausgeblendet», heisst es in der Medienmitteilung. Aus diesem Grund enthalte der Bericht erhebliche Grundlagenfehler. «Da werden Äpfel mit Birnen verglichen», sagt Stephan Hill, Verwaltungsratspräsident der GSS.
Die Vorsitzenden der Gemeinderäte seien enttäuscht über das Verhalten des Gemeinderats von Gsteig. Die Publikation dieses umstrittenen Gutachtens rund drei Wochen vor den kommunalen Urnengängen vom 19. November 2023 zum Projekt der integrierten Versorgung mit einem Akutspital stelle grundsätzliche demokratisch-politische Prinzipien in Frage, heisst es weiter. Durch die verschiedenen Publikationen und die Veröffentlichung des Berichts der Beratungsfirma und der damit verbundenen Medienmitteilung der Gemeinde Gsteig sei die Verunsicherung in der Bevölkerung gross.
Mangelhafte Zahlen und falsche Vergleiche
Im Gegensatz zum Zürcher Gutachten basiere der Businessplan der GSS auf den detaillierten Unterlagen der betroffenen Partnerorganisationen, die bei der Erarbeitung des Businessplans mitgewirkt haben. Die Abweichungen des Zürcher Gutachtens zum Businessplan der GSS hätten sich im Wesentlichen aus den falschen Annahmen der Muller Healthcare Consulting im Spitalbereich ergeben. Der GSS sei es ein Anliegen, mit Blick auf die kommunalen Urnengänge folgende Punkte richtigzustellen:
Mindestfallzahlen: Die Beratungsfirma stellt in Frage, ob die GSS die für Leistungsaufträge vorgegebenen Mindestfallzahlen erreicht. Der Businessplan beruhe auf tatsächlich geleisteten Fallzahlen (vgl. MedStat-Statistik für die Regionen Nieder- und Obersimmental sowie Saanenland).
Basispreis: Die GSS sei erstaunt, dass die Beraterfirma den Unterschied zwischen einem Basisspital (Spital Zweisimmen) und einem Basisspital elektiv (Hohmad/Siloah) nicht kenne oder ignoriere. In einem Basisspital elektiv würden keine Vorhalteleistungen (z.B. Betrieb eines Spitalnotfalls 365 Tage / 24 Stunden) anfallen. Deshalb sei der Vergleich zwischen Zweisimmen und der Spitäler Hohmad/Siloah bezüglich Basispreis unzulässig. «Das Spital Zweisimmen ist ein Basisspital mit 24-Stunden-Spitalnotfall und erhält deshalb einen höheren Basispreis als die Spitäler Hohmad/Siloah», heisst es in der Medienmitteilung.
Ertrag: Der im Gutachten prognostizierte Betriebsertrag liege um rund 1.5 Mio. Franken unter dem tatsächlichen Betriebsertrag am Spital Zweisimmen in den Jahren 2016 bis 2019. «Sogar in den Corona-Jahren 2020 und 2021 lag der durchschnittliche Betriebsertrag im Spital Zweisimmen höher als der angegebene Wert im Gutachten. Gleiches gilt für den effektiven ambulanten Betriebsertrag», so die GSS.
Spitalneubau: Das Gutachten rechnet mit Investitionen von 55 Mio. Franken. Das entspreche der Grössenordnung des Projektes Dr. House der Spital STS AG, das vom Kanton bereits im Jahr 2017 als zu teuer erachtet wurde und damit zur Gründung der GSS geführt habe. Die GSS habe mit erfahrenen Spitalplanern zusammengearbeitet. Die veranschlagten Neubaukosten von 27 Mio. Franken entsprächen bereits realisierten und geplanten Akutspitalbauprojekten der letzten Jahre in der Schweiz und liessen sich nachhaltig finanzieren. Zudem seien entgegen der Behauptung im Gutachten nicht vier Operationssäle, sondern wie heute zwei vorgesehen. Weiter umfasse der Neubau 24 Zimmer mit Ausbaumöglichkeit bis 48 Betten und nicht wie im Gutachten behauptet 25.
Alterswohnen: Dass der Businessplan die Investitionen in den Erweiterungsbau der Alterswohnen STS AG noch nicht berücksichtige, habe die GSS offengelegt. Die Dringlichkeit einer neuen Demenzabteilung sei unbestritten. Ein Ja am 19. November 2023 ermögliche es, die Projekte für den Spitalneubau und den Erweiterungsbau aufeinander abzustimmen und dank Gesamtkonzept eine nachhaltige Finanzierung sicherzustellen. Der Standort Bergsonne in Zweisimmen erlaube einen Erweiterungsbau für 8 bis 9 Mio. Franken.
Gemeindevertreter haben volles Vertrauen in die GSS
Es sei nicht Aufgabe der Gemeinden, das Gutachten der Zürcher Beratungsfirma zu analysieren; diesbezüglich hätten die Gemeindevertreter volles Vertrauen in die Arbeit der Fachleute der GSS, so die Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten. Aus politischer Sicht wollten sie aber jegliche Zweifel ausräumen: Das Projekt GSS verdiene ein klares Ja am 19. November 2023. Wie am 25. August kommuniziert, habe ein Nein die Spitalschliessung und so der Aufbau eines ambulanten Gesundheitszentrums durch die Spital STS AG zur Folge. «Wir stehen uneingeschränkt hinter dem gemeinsamen Projekt des integrierten Versorgungsmodells, Gesundheitsnetz Simme Saane’ mit einem Akutspital Zweisimmen», sagt René Müller, Gemeindepräsident Lenk und Sprecher der abstimmenden Gemeinden.
Wichtig für die Bevölkerung, die Region und den Tourismus
Nur die integrierte Versorgung mit einem Akutspital Zweisimmen garantiere auch weiterhin eine 7x24-Stunden-Nottfallbehandlung. Ebenso sei das Projekt zum Erhalt des Spitals aus wirtschaftlicher Sicht für die Region Simmental-Saanenland von grösster Wichtigkeit. «Nur mit einer umfassenden, integrierten Gesundheitsversorgung vor Ort bleiben wir als gesamte Region attraktiv für alle Generationen, Jüngere und Ältere, Familien, Einheimische und auch Gäste», unterstreicht Beatrice Zeller, Gemeindepräsidentin der Standortgemeinde Zweisimmen.
Für die Lauener Gemeindepräsidentin Ruth Oehrli stehe ausser Zweifel, dass Winter- und Sommertourismus auf eine Akutspital-Versorgung angewiesen seien. Als Beispiel nennt sie eine eigene Erfahrung aus dem Winter 2022/23, als es zum Zusammenstoss von zwei Jugendlichen auf der Piste kam. Beide Patienten wurden aus Sicherheitsgründen mit Helikoptern in das Spital Zweisimmen gebracht und konnten so rasch behandelt werden. Ohne Akutspital wäre ein Transport nach Thun nötig gewesen.
pd/jop
Eine ausführliche Berichterstattung über die am Dienstagvormittag stattgefundene Medienkonferenz folgt in der AvS-Ausgabe vom kommenden Freitag.