Granit, Harz, Metall und ein Maler
05.07.2022 KulturAn der erst zweiten Kunstausstellung im Studio Naegeli war die Handschrift der ersten wiederzuerkennen: Lokalbezug, familiäre Atmosphäre und moderne Kunst, die zum Überlegen anregt. In der Ausstellung «Split Window» begeistern Bilder von Mario Volpe sowie Skulpturen des Genfer Designerduos Pierre und Cédric Koukjian das Publikum.
BLANCA BURRI
Mario Volpe war ein kolumbianischer Maler, der bereits als Teenager die Welt entdeckte. In den Siebzigerjahren wurde er in Bern und in Gstaad heimisch, in Gstaad vielleicht fast ein wenig einheimisch, denn er heiratete Brigit Volpe-Scherz von der Palace-Familie. Sein Hauptwohnsitz blieb aber in Bern, wo er den Pinsel führte.
Nach seinem Tod am 21. August 2013 (76-jährig) hinterliess er Kunstwerke aus 50 Jahren Schaffenskraft, 3000 an der Zahl. Sie werden heute von der Art-Nachlassstiftung verwaltet. Eine besondere Auswahl seiner abstrakten Bilder mit klaren Schwarz-, Weiss- und Blautönen sind bis am 21. August im Studio Naegeli an der Promenade in Gstaad zu sehen. Anlässlich der Vernissage vom vergangenen Samstagabend gaben sich sogar seine Frau Brigit und ihr Sohn Philip die Ehre. Gut gelaunt feierten sie das Wiedersehen mit Freunden, Galeristinnen und Kunstliebhabern, da und dort im Gespräch vertieft. Beispielsweise mit Günther Ketterer, Präsident der Art-Nachlassstiftung, oder Sebastian Winkler, Künstler und Kurator der Nachlassstiftung.
Designer- und Künstlerduo mit kritischem Blick
Der in Beirut geborene Pierre Koukjian verliess seine Heimatstadt, als der libanesische Bürgerkrieg begann. Heute lebt er in Genf, wo er gemeinsam mit seinem Sohn Cédric Koukjian als Designer und Künstler Skulpturen erschafft. Darin verbindet er totes und lebendes Material – beispielsweise Metall mit Holz – und wirft immer auch einen kritischen Blick auf Gesellschaft und Wirtschaft. Aus Genf hat der Vaterkünstler zwei Ölkanister mitgebracht, die aus Kunstharz gegossen sind. Darin eingeschlossen sind diverse Logos globaler Erdölgesellschaften. Darüber sagt er: «Kunstharz wird aus Erdöl hergestellt. In meinem Werk versinken die Erdölgesellschaften in ihrem eigenen Produkt. Ich finde, das sagt alles.»
Granitkette steht für die Freiheit des Einzelnen
Der Wirtschaftsingenieur und Künstler Cédric Koukjian befasst sich gerne mit sperrigen Materialien. Am liebsten Metall oder Granit. Daraus giesst, formt oder schnitzt er Ketten. Immer Ketten? «Eigentlich immer», beantwortete er die Frage am vergangenen Samstag an der Vernissage. «Die einzelnen Glieder stehen als Sinnbild der Individuen. Sie können sich nie frei bewegen, sondern sind immer mit anderen Individuen verhängt. Also ist die eigene Freiheit nie grenzenlos.»
Familiäre Atmosphäre ist Programm
An der Vernissage schien alles im Fluss. Als wären sie mit dem Hausbau nach Gstaad gebracht worden, lagen die schweren und fragilen Granitketten im Ausstellungsraum, ergänzt durch ein dreidimensionales Holz-Metall-Bild, das sich je nach Lust und Laune bewegen lässt, sowie die klaren Bilder von Mario Volpe. Genauso natürlich bewegten sich die Gäste aus Gstaad und Bern, vielleicht auch von weiter her. Es fühlte sich fast ein wenig an, wie an einer Familienfeier. Auf die spezielle Atmosphäre angesprochen, lachte Kuratorin Anna Högl: «Genau das wollten wir! Dass es gelungen ist, freut mich ausserordentlich.»