Glück und Liebe auf vier Beinen

  03.11.2022 Saanenland, Gesellschaft, Saanenland

Die Blindenführhundeschule Allschwill, älteste und grösste Schweizer Schule für Blindenführhunde, verfügt über eine eigene Zucht und bildet auch Assistenz-, Autismusbegleitund Sozialhunde aus. Einer dieser Allschwiler Hunde hat den Weg ins Saanenland gefunden.

KEREM S. MAURER
In der Blindenführhundeschule Allschwil, die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert, kommen jährlich zwischen 70 und 80 Labrador Retriever Welpen zur Welt. Über 90 Prozent dieser Hunde absolvieren laut Judith Bucher, Mediensprecherin der Stiftung Schweizerische Schule für Blindenführhunde Allschwil, einen Ausbildungsgang. «Rund die Hälfte dieser Tiere hat das Zeug zum Blindenführhund. Aber auch unter der anderen Hälfte gibt es talentierte Tiere, die wir zu Autismusbegleithunden, Assistenzhunden oder Sozialhunden ausbilden», sagt sie gegenüber dieser Zeitung. (siehe Kasten) Die verbleibenden zehn Prozent werden unter gewissen Bedingungen als Familienhunde abgegeben. Einer dieser Familienhunde ist die achtjährige Hündin Lenja, die seit sechseinhalb Jahren bei Kaspar Bangerter in Lauenen lebt.

Lange Wartelisten
Kaspar Bangerter (64) liebt Hunde, ist mit ihnen aufgewachsen und lebt seit er erwachsen ist immer mit Hunden zusammen. Er kann und will sich ein leben ohne Fellnase nicht vorstellen. Vor einigen Jahren, als seine Frau schwer erkrankte und er seinen Betrieb noch führte, fehlte allerdings die Zeit, sich um einen Welpen zu kümmern und diesen zu erziehen. «Darum habe ich mich an die Blindenführhundeschule Allschwil gewandt und mich für einen Familienhund beworben», erinnert sich Kaspar Bangerter – und kam als fünfundzwanzigster auf eine Warteliste.

«Die Wartezeiten für einen geeigneten und ausgebildeten Hund ändern sich laufend und können bis zu einem Jahr dauern», weiss Judith Bucher. «Eine gewisse Zeit ist unsererseits wünschenswert, da der neue Begleiter eine grosse Umstellung im Leben eines Halters bedeutet. Dies muss gut überlegt und vorbereitet werden.»

Die Hunde der Blindenführhundeschule Allschwil kommen, nachdem sie zehn Wochen lang bei ihrer Mutter waren, in eine sogenannte Patenfamilie, wo sie während eineinhalb Jahren im Sinne der Schule gehalten, erzogen und ausgebildet werden. «Im Laufe ihrer Jugend in den Patenfamilien wird deutlich, welche Karrieren die Hunde einschlagen werden», erklärt Judith Bucher. Alle Hunde verfügen demnach über eine solide Grundausbildung. Auch Lenja. Doch warum wurde sie ein Familienhund? Judith Bucher: «Lenja wurde aus der Ausbildung genommen, weil sie akustisch unsicher, sprich schreckhaft, und in der Umwelt zu stark abgelenkt war.»

Italienische Befehle
Gehorchen denn Hunde, die aus der Blindenführhundeschule kommen, besser als andere? «Oh ja, die folgen sehr gut, Lenja ist sackstark ausgebildet», schwärmt Kaspar Bangeter. Oft staunten die Leute darüber, wie gut Lenja gehorche. Dann erkläre er immer, dass dies nicht sein Verdienst sei, sagt er lachend. Interessant ist, dass er seiner Hündin die Befehle in italienischer Sprache gibt – so sind es diese Hunde gewohnt. Denn für die über dreissig Hörzeichen, welche die Hunde beherrschen, sei die italienische Sprache mit ihren vielen Vokalen besser geeignet als die deutsche, erklärt die Blindenführhundeschule in Allschwil. Andere Institutionen nutzen jedoch die jeweilige Landessprache.

Hund bleibt Eigentum der Schule
Hunde aus der Blindenführhundeschule in Allschwil kann man nicht kaufen, die bekommt man ausgeliehen. Dafür gehören die Tiere nie ihren Haltern und dies aus gutem Grund. Jedes Jahr muss ein vom Tierarzt ausgefülltes Gesundheitsprotokoll an die Schule geschickt werden. Darin wird unter anderem das Gewicht des Tieres festgehalten. «Wenn man einen Hund im Alter von rund achtzehn Monaten bekommt, berechnet ein Veterinär das Idealgewicht des Tieres. Weicht das protokollierte Gewicht mehr als zehn Prozent von dieser Prognose ab, schaltet sich die Schule ein», erklärt Bangerter, der dies selber einmal erlebt hat. Allerdings war die Abweichung nicht sehr gross und innerhalb eines Jahres hatte sich das Gewicht wieder normalisiert. «Hätten wir die Sache nicht in den Griff bekommen, wäre Lenja von der Schule temporär zurückgeholt worden», sagt der Lauener. Das Wohl des Hundes stehe bei dieser Schule immer und diskussionslos im Vordergrund.

Halter werden verpflichtet
«Es ist unser Ziel, möglichst alle Hunde einem sozialen Zweck zuzuführen. Familienhundehalter verpflichten sich, die Sozialhundeausbildung zu absolvieren, sofern der Hund sich eignet», erklärt Judith Bucher. Doch Kaspar Bangerter, dessen Hündin Lenja im Zusammenhang mit seiner Frau schon viel geleistet hat, ist von dieser Pflicht befreit. Judith Bucher erklärt: «Aus unterschiedlichen Gründen, das kann die Gesundheit oder das Verhalten des Hundes, aber auch die Lebenssituation des Hundehalters betreffen, wie es bei Kaspar Bangerter der Fall war, befreit die Schule den Halter von weiteren Verpflichtungen.»

Spätestens mit elf Jahren pensioniert
Hunde, die im Dienst der Menschen stehen, werden im Alter von acht bis elf Jahren pensioniert. Dann bleiben die Tiere entweder in den Familien, bei denen sie gearbeitet haben oder sie werden von der Schule an einen guten Platz vermittelt. Im Ruhestand verlieren sie jedoch alle Zugangsberechtigungen, die sie als «berufstätige» Hunde innehatten. Für Kaspar Bangerter ist klar, dass er seine mittlerweile achtjährige Hündin bei sich behält – selbst wenn er längere Zeit auf Reisen geht. Natürlich besteht die Möglichkeit, Lenja ferienhalber in ihre Patenfamilie zu geben, doch er will seine Hündin bei sich haben, solange sie lebt. «Lenja ist eine sehr liebe Hündin, die auch mit Joggern, Bikern oder anderen Hunden keine Probleme hat», sagt er, streicht ihr zärtlich über den Kopf und ergänzt: «Ich würde mich immer wieder für einen solchen Hund entscheiden. Sie ist das Beste, was mir passieren konnte.»


VERSCHIEDENE HUNDE

Blindenhunde verhelfen blinden oder sehbeeinträchtigten Menschen zu einer besseren Mobilität.
Assistenzhunde unterstützen Kinder oder Erwachsene, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, indem sie Dinge apportieren oder Türen öffnen.
Sozialhunde sind in einer Vielzahl von Institutionen unterwegs und schenken Freude und Abwechslung.
Autismushunde ermöglichen es Familien mit autistischen Kindern, vermehrt am sozialen Leben teilzunehmen.


ENTSTEHUNG DER BLINDENFÜHRHUNDESCHULEN

Die ersten Blindenführhundeschulen entstanden in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Schäferhunde wurden dazu ausgebildet, Kriegsblinde im zivilen Leben zu unterstützen. Die erste Schweizer Schule – 1928 durch die Amerikanerin Dorothy Harrison Eustis in Vevey gegründet – war von dieser Bewegung in Deutschland inspiriert. Dorothy Harrison Eustis hatte die Vision, Ausbildner in ganz Europa zu trainieren, die ihrerseits in ihren Heimatländern Schulen gründen sollten. Doch ihr Institut musste 1934 aus wirtschaftlichen Gründen schliessen. Und es dauerte mehrere Jahrzehnte, bis Walter Rupp mit Unterstützung seiner Frau Rosa Führhunde in Allschwil auszubilden begann. Walter Rupp, von Beruf Zollbeamter, schaffte es, ein Netzwerk von Unterstützern und Gönnern zu knüpfen. Mit deren Hilfe wurde 1972 die Stiftung gegründet und das Waldheim gekauft – ein ehemaliges Erholungsheim und Wöchnerinnenhaus ausserhalb von Allschwil.

Quelle: Blindenführhundeschule Allschwil

 


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