Eine 300-seitige Liebeserklärung an das Berner Oberland
21.11.2022 Region, Berner Oberland, Kultur, Tourismus22’500 Höhenmeter zu Fuss, 11’000 Höhenmeter mit dem E-Bike und 6500 Kilometer mit dem Auto. Robert Schneiter hat während vier Jahren einiges auf sich genommen, um 106 Seen und Seelein des Berner Oberlandes in seinem Buch vorzustellen. Im Interview erzählt er, warum und wozu er das getan hat.
KEREM S. MAURER
Wie sind Sie darauf gekommen, ein Buch über die Seen und Seelein des Berner Oberlands zu machen?
Seit meiner Pensionierung habe ich zwölf Lichtbildervorträge produziert, doch keinen über das Berner Oberland. Da fiel mir auf, dass es nichts Umfassendes über die hiesigen Seen gibt. Zuerst machte ich einen Lichtbildervortrag darüber. Daraus ist dann das Buch entstanden, sozusagen als Liebeserklärung an das Berner Oberland.
Warum mussten es Seen sein, welche Bedeutung hat Wasser für Sie?
Für meinen Lichtbildervortrag «Wasser ist Leben» fotografierte ich die Quellgebiete der 18 längsten Schweizer Flüsse. Wenn Sie aktuelle Bilder sehen von Äthiopien oder dem Horn von Afrika, wo es seit Jahren nicht mehr geregnet hat, wird deutlich, wie wichtig Wasser ist. Ohne Wasser gibt es kein Leben.
In Spiegelungen erlebe man den Himmel auf Erden, schreiben Sie. Was meinen Sie damit?
Zweierlei: Geht es einem gut, spricht man davon, den Himmel auf Erden zu haben. Und wenn ich an einem Bergsee bin, geht es mir gut. Das andere ist bildlich gesprochen. Normalerweise ist der Himmel weit oben. Spiegelt er sich aber im Wasser, liegt er mir zu Füssen und ist auf Erden.
Welche sind für Sie die drei schönsten Seen im Berner Oberland?
Das kann ich so nicht beantworten. Denken Sie an den Forellensee in Zweisimmen, eingeklemmt zwischen Kantonsstrasse und Bahngleisen. Auf den ersten Blick ist er nichts Spezielles. Lässt man aber seine Lage ausser Acht und sieht die sagenhafte Spiegelung auf seiner Oberfläche, ist dies das Schönste, was man in diesem Moment erleben kann. Würde ich jetzt einen See als den Schönsten bezeichnen, täte ich den anderen Unrecht.
Sie bezeichnen Bergseen als Kraftorte. Wie definieren Sie solche Orte?
Das ist für mich ein Ort, wo ich für eine Zeit lang ablegen kann, was mich belastet und was mir Mühe bereitet. Nachher kann ich von dort erholt und gestärkt wieder in den Alltag zurückkehren. An einem Kraftort kann ich meine Seele baumeln lassen.
Ich habe den Eindruck, dass es Ihnen nicht nur ums Wasser geht, sondern auch um den Weg dahin. Und der ist für Sie mehr als nur Wandern?
Richtig. Wandern hat für mich etwas Meditatives. Die regelmässigen Bewegungen, die Schritte ergeben einen anderen Lebensrhythmus. Man begegnet der Natur, dem Vogelgezwitscher und – vorausgesetzt, man hat keine Stöpsel im Ohr – der Stille. Darin begegne ich Gott, und mir selbst.
Das ist nicht immer einfach ...
Oh nein, die Auseinandersetzung mit sich selbst ist nicht immer nur judihui, das kann auch unangenehm sein, wenn man ehrlich ist. Das muss man aushalten, Schritt für Schritt. Dazu muss ich nicht nach Santiago de Compostela pilgern, ich kann auch an einen Bergsee wandern. Schritt für Schritt – das hat etwas Befreiendes.
Was wollen Sie Ihrer Leserschaft vermitteln?
Ich möchte Freude bereiten und dass meine Leserinnen und Leser das Berner Oberland von seiner wässerigen Seite her kennenlernen. Und damit man auf dem Weg über etwas nachdenken kann, hat es Sprüche und Zitate.
An wen richtet sich Ihr Buch?
An jene, die nach meinen Vorträgen fragen, ob es dazu auch Bücher gebe. Ausserdem ich bin noch niemandem begegnet, der alle Seen besucht hat. Vielleicht gibt es ein Interesse, die Oberländer Seen als Gesamtes zu betrachten. Und speziell richtet sich das Buch an jene, die selber nicht mehr wandern können. Ihnen will ich ein bisschen Heimat nach Hause bringen.
Wanderführer gibt es ja schon viele. Wodurch unterscheidet sich Ihr Buch von den anderen?
Dadurch, dass es eben kein Wanderführer, sondern eher ein Bildband ist, der einladen soll, selber aufzubrechen und die Stille an den Ufern der Seen zu erleben – wenn man das noch kann. Wohl hat es Karten im Buch aber jeder muss sich selber vorbereiten. Die Touren sind nicht beschrieben wie in einem Wanderführer.
Sie haben vier Jahre lang an diesem Buch gearbeitet. Was war dabei die grösste Herausforderung?
Die Krankheit meiner Frau. Im ersten Jahr ihrer Krankheit musste ich mich auf den Fototouren beeilen, weil ich wieder nach Hause musste, um nach ihr zu sehen. Im zweiten Jahr brauchte ich jemanden, der bei ihr war, weil sie nicht mehr alleine sein konnte. Und im dritten Jahr war meine Frau im Pflegeheim. Das war eine harte Zeit.
Folgt nun ein Buch über die Walliser Seen?
Nein, ich habe ja gesagt, dieses Buch ist eine Liebeserklärung an das Berner Oberland. Eine Liebeserklärung sollte exklusiv sein, sonst wird die Liebe schwächer und verwässert. Ich habe nichts mehr geplant – und wenn, dann plane ich Ferien am Meer. Vielleicht in Norwegen. Aber meine Haupttätigkeiten sind die Vorträge und ich helfe noch als Pfarrer in Lauenen aus.
ZUR PERSON
Robert Schneiter (1947) Hochbauzeichner und Theologe, Vater von drei erwachsenen Kindern, ist im Berner Oberland aufgewachsen. 35 Jahre lang har er als Pfarrer der reformierten Kirche im Berner Oberland gearbeitet. Heute lebt er im Saanenland. Wenn er am Wasser oder in den Bergen unterwegs ist, begleitet ihn manchmal seine Hündin Linda, ganz sicher aber eine Kamera. Mit seinen Naturaufnahmen gestaltet er eindrückliche und interessante Lichtbildervorträge.
Nach «99 Sachen zum Machen» und «Nach Hast – mach Rast», ist «An stillen Wassern im Berner Oberland» bereits Schneiters drittes Buch.
PD