Die zauberhafte Welt des Peer Gynt

  01.09.2022 , Kultur, Gstaad, Konzert, Kunst

Am Sonntag verwandelte sich die Bühne des Gstaad Menuhin Festivals in ein norwegisches Dorf, in welchem Peer Gynt wohnte. Die Geschichte erzählten über 50 Kinder und Jugendliche aus dem Saanenland und begeisterten das zahlreich erschienene Publikum.

KERSTIN BÜTSCHI
Peer Gynt möchte Kaiser werden, mit einer Krone – so gross wie das Geweih, das er gefunden hat. Um dieses Ziel zu erreichen, lügt er gerne auch mal und erfindet Geschichten. Zu Peer Gynts Begleitern gehörten ein boshafter Kobold und eine liebevolle Fee. Beide gaben ihm Ratschläge, er hörte zu oft auf den Kobold und geriet in unangenehme Situationen. Seiner Freundin Ingrid half Peer, vor der Hochzeit mit Thor zu fliehen. Mit dieser Tat zog es ihn in die weite Welt hinaus – immer auf der Suche nach seinem Königreich. Zuhause wartete Solveig auf ihn, das neue Mädchen im Dorf.

Peer Gynt für Kinder
Peer Gynt ist ein Werk des norwegischen Lyrikers Henrik Ibsen, eigentlich eine düstere Geschichte, geschrieben 1867. «Ich musste mit der Geschichte aufräumen und sie umschreiben, damit sie kindertauglich wurde», erzählte Margrith Gimmel. Zudem habe sie das Stück ursprünglich für 26 Kinder und Jugendliche geschrieben, dann standen plötzlich rund 60 am ersten Treffen vor ihr. «Ich wusste nicht, ob ich einfach wegrennen soll», meinte Gimmel lachend. Am Sonntag standen dann 53 Kinder und Jugendliche aus dem Saanenland auf der Festivalbühne. Das Kinder- und Familienkonzert ist ein Nachmittag von Jungen für Junge, und ein Herantasten an die Welt der klassischen Musik. «Es freut mich jedes Mal, wenn ich höre, dass die Jungen sagen, dass ‹diese› Musik cool sei», so die Saaner Lehrerin.

Zwischen Licht und Schatten
An der Aufführung vom Sonntag gab es zwei Besonderheiten. Zum einen entwarf Fiona Gimmel extra ein Logo für die Aufführung. Es stellt eine Birke dar, auf welcher der Kobold und die Fee sitzen. «Das Logo steht für Peer Gynts Denken, welches durch die beiden Fabelwesen beeinflusst wird», erklärte Margrith Gimmel. Zum anderen wurde die Geschichte zwischen Licht und Schatten erzählt. Gewisse Szenen fanden im klassischen Scheinwerferlicht statt, andere wurden als Schattentheater via Hellraumprojektor projiziert und die Schauspieler/innen huschten als Schatten über die Bühne.

Alles handgemacht
Auf seiner Reise begegnete Peer Gynt zuerst einer grün gekleideten Prinzessin mit einer Schar urchiger Trolle. Sie war die Tochter des Bergkönigs und wollte Peer heiraten, weil er ihr erzählte, dass er der Sohn der Königin des Wassers sei. Die Trolle merkten, dass er log und jagten ihn davon.

Nicht gelogen ist, dass auf der Bühne alles handgemacht war, so auch die Trollmasken. «Wir hatten grossen Spass und die Kinder sind in der Aufgabe, ‹wüeschti› Masken zu basteln, richtig aufgegangen», erinnerte sich Margrith Gimmel. Für das Bühnenbild war auch dieses Jahr Jacques Gimmel zuständig. Er setzte die Ideen der Kinder und Jugendlichen um und verwandelte die Festivalbühne in ein norwegisches Dorf mit authentischer Stabkirche. «In der Kirche hingen die Glocken meines ‹Ättis› und auf dem Dach von Solveigs Haus lag echtes norwegisches Moos», berichtete Gimmel. Margrith Gimmel und ihr Ehemann Jacques sind auf den Spuren von Peer Gynt durch Norwegen gezogen. «Wir recyclen aber auch immer wieder Kostüme oder Gegenstände von früheren Vorstellungen.» So rannte auch einmal der Esel aus «Karneval der Tiere» als Schatten über die Bühne.

Musikalische Begleitung
Nachdem Peer Gynt von den Trollen verjagt wurde, zog es ihn nach Hause. Dort sang ihm seine Mutter Ase ein Wiegelied und er sah Solveig von weitem. Sie wartete immer noch auf ihn. Doch statt bei ihr zu bleiben, hörte er auf den Kobolden und zog wieder in die Welt hinaus.

Was viele nicht wissen: Die wohl bekannteste Melodie aus der Welt der Klassik stammt aus Peer Gynt. «Morgenstimmung» von Edvard Grieg wird noch heute in Werbung, Film und Fernsehen verwendet. Die musikalische Aufbereitung für das Kindertheater geschah auch dieses Jahr durch Roumen Kroumov. Er passte die Orchestermusik auf das Theater, die Kinder und ein kleines Ensemble bestehend aus acht Instrumenten – Klavier, Geige, Cello, Holzblasquartett und Percussion – des Gstaad Menuhin Orchestras an. «Zu Ehren des Jahresmottos hat Roumen sogar noch etwas Beethoven mitreingepackt», verriet Gimmel lachend. Da Roumen Kroumov momentan in China verweilt, lag die musikalische Leitung bei Daniela Spassov. «Was mich besonders freut, ist die Tatsache, dass Cédric Gyger noch heute Teil vom Kinder- und Familienkonzert ist», erzählte Margrith Gimmel stolz. Gyger durfte bereits als Kind im Orchester als Perkussionist mitspielen. Nun spielte er wieder mit und unterstützte Kinder und Jugendliche, die auch mitspielen durften.

Unterstützung von allen Seiten
Seine Reise führte Peer Gynt weiter in die Wüste, wo er eine Schatztruhe fand und arabischen Prinzessinnen begegnete. In wallenden Gewändern tanzten sie für ihn und Anitra versprach, Peer zu heiraten. Doch auch die Prinzessinnen kamen seiner Lügengeschichte auf die Spur.

Die Choreografie der Prinzessinnen und des nordischen Tanzes der Dorfbewohnerinnen haben die jungen Schauspieler/innen zusammen mit Sandra Grundisch einstudiert. «Ich bin äusserst dankbar für die Unterstützung, die ich seit Jahren vom Gstaad Menuhin Festival, von Kolleginnen aus dem Lehrkollegium oder den Eltern erhalte», meinte Gimmel. Stefanie Iseli betreut beispielsweise seit Jahren die Tontechnik. Dann war dieses Jahr auch Tochter Fiona Gimmel wieder sehr engagiert und half überall, wo es sie brauchte. «Ich geniesse es mit Fiona zusammenzuarbeiten, wir sind ein gutes Team», schwärmte die zweifache Mutter.

«Es ist ihr Stück»
Im Rahmen des Kinder- und Familienkonzerts gibt es für alle etwas zu tun, egal ob das Interesse beim Theater spielen, Singen, Tanzen, im Orchester, beim Malen, Kostüme nähen, Requisiten basteln oder im Bedienen der Technik liegt. «Es finden alle ihre Aufgaben und entdecken neue Kompetenzen und Fähigkeiten», erklärte die Lehrerin. In der gesamten Umsetzung des Stücks haben die Kinder und Jugendlichen das letzte Wort. «Es ist ihr Stück, am Ende wissen nur noch sie, wer wann was zu tun hat», so Gimmel. Gerade mit über 50 Kindern und Jugendlichen könne sie den Überblick nicht mehr behalten. Selbstwirksamkeit ist zwar zum «Mode»-Wort geworden, kann jedoch auf das Kinderund Familienkonzert exemplarisch angewendet werden. «Im Prozess wachsen die Kinder über sich heraus, meistern verschiedenste Herausforderungen, sind füreinander da und realisieren, dass es alle braucht, damit ein Stück zustande kommt. Sie erleben Selbstwirksamkeit.»

Happy End für alle
Peer Gynt machte sich am Ende mit dem Schiff auf den Weg nach Hause und geriet in einen Sturm. Ein Wal rettete ihn und an Land hörte Peer plötzlich wieder die Kirchenglocken. Da merkt er, dass der Kobold ein schlechter Ratgeber war und er zu Solveig wollte, die all die Jahre auf ihn gewartet hat. «Du bist der Kaiser meines Herzens», sagte Solveig und Peer Gynt realisiert, dass er nun bei ihr sein Königreich gefunden hat.

Mit diesen Worten wurden alle Beteiligten aus der Zauberwelt des Peer Gynt entlassen. Bei Margrith, Fiona und Jacques Gimmel zeigte sich Freude, bei den Eltern und Verwandten der Stolz auf die Schützlinge und die jungen Schauspieler/innen strahlten nach ihrer grossartigen Leistung über beide Ohren. Den tosenden Applaus und die offerierte Glace haben sie sich definitiv verdient.


«Ich habe nie vorher von ‹Peer Gynt› gehört»

Laura Colella ist zehn Jahre alt, wohnt in Saanen und stand beim Familienkonzert am letzten Sonntag zum ersten mal auf der Bühne im Festivalzelt. Kurz nach der Hauptprobe und vor dem Schminken durfte der «Anzeiger von Saanen» mit ihr sprechen – über das Stück, die Kostüme und die Aufregung.

JENNY STERCHI

Welches Stück spielt Ihr eigentlich und welche ist Deine Rolle darin?
Wir spielen «Peer Gynt». Ich spiele zuerst eine Fee und dann eine Dorfbewohnerin. Ich tausche mit einem anderen Mädchen die Rollen.

Ist es eine Sprechrolle oder wird gesungen?
Als Fee habe ich viel Text, als Dorfbewohnerin weniger. Und singen werden wir zwei Lieder.

Bist Du zum ersten Mal beim Kinderkonzert vom Menuhin Festival dabei?
Ja, es ist das erste Mal. Wir, meine Schwester Marta und ich, haben in der Zeitung gesehen, dass Kinder fürs Kinderkonzert gesucht werden. Marta hat schon mal mitgemacht. Ich wollte das gern machen und da hat Mama uns beide angemeldet.

Und wie ging es dann weiter?
Dann haben wir uns alle mit Frau Gimmel getroffen und die Rollen verteilt. Wir durften sagen, welche Rollen uns besonders gefallen. Und weil es viele Rollen sind und wir auch Rollen tauschen und verschiedene Figuren spielen durften, war ich sehr glücklich. Und dann haben wir Texte gelernt.

Während der Proben?
Nein, zu Hause. Mit Marta und mit Mama. Und dann hatten wir zweimal in der Woche Probe.

Ging das gut neben der Schule?
Ja, eigentlich schon. Ich musste nicht schulfrei nehmen. Proben waren am Wochenende oder am Nachmittag.

Kanntest Du das Stück schon vorher?
Nein, ich habe davon noch nie gehört. Frau Gimmel hat uns die Geschichte von Peer Gynt erzählt. Sie ist übrigens meine Klassenlehrerin.

Ihr habt so schöne Kostüme. Woher kommen die?
Die sind selber gemacht. Ein paar davon gab es schon, die wurden schon an einem anderen Theater gebraucht. Aber bei den Kleidern der Dorfbewohner zum Beispiel haben wir geholfen. Die Trollmasken haben wir auch selbst gebastelt. Natürlich hat Frau Gimmel uns immer ein bisschen geholfen, aber machen durften wir es dann selbst.

Bist Du aufgeregt?
Ja. Ich glaube, es kommen sehr viele Leute und ich habe als Fee ganz schön viel Text.

Wer schaut Dir heute zu?
Meine Familie und Freunde von uns sind im Publikum.

Hilft Dir jemand, wenn Du mit dem Text nicht weiter weisst?
Ja, wir haben Souffleure und Soufleusen. Das machen auch Kinder.

Also wird ganz schön viel von Kindern gemacht bei dieser Aufführung?
Ja, die Erwachsenen haben uns beigebracht, die Vorführung alleine zu machen. Und jetzt übernehmen wir Kinder alles, ohne Erwachsene. Aber die Lehrer sind trotzdem hier und helfen uns, wenn etwas schief geht.

Möchtest Du denn später auch mal auf einer Bühne stehen?
Ja, ich möchte gerne Schauspielerin oder Sängerin werden.

Bist Du im nächsten Jahr wieder dabei?
Das weiss ich noch nicht. Jetzt am Ende war es ganz schön viel Aufregung neben der Schule.


SO ENTSTAND DAS DIESJÄHRIGE FAMILIENKONZERT DES MENUHIN FESTIVALS

Margrith Gimmel, Lehrerin in Saanen und seit vielen Jahren verantwortlich für das Kinderkonzert im Rahmen des Gstaad Menuhin Festivals, hat die Geschichte von Peer Gynt auf die Bühne gebracht. Dafür hat sie das Drama von Henrik Ibsen weniger dramatisch und somit kinderfreundlich inszeniert. Roumen Kroumov hat die musikalische Bearbeitung der Originalmusik von Edvard Grieg übernommen. Begleitet wurden die Kinder von einem Ensemble des Gstaad Festival Orchestra. Das ursprüngliche Konzept, das Regisseurin Margrith Gimmel für die Inszenierung erstellt hatte, war für 25 Kinder ausgelegt. Nachdem sich 56 angemeldet hatten, musste sie es nochmals überarbeiten, so dass am Ende jedes Kind eine oder auch mehrere Rollen erhielt, als Troll, Dorfbewohnerin, orientalische Tänzerin, Teil von Esel und Kamel oder eben als Peer Gynt. Es wurde ein Stück mit Schattentheaterelementen, Tanz- und Gesangsszenen und gesprochenen Passagen. Sowohl Kulissen und Kostüme als auch Licht- und Aufnahmetechnik wurden im Laufe der sechs Monate währenden Proben gemeinsam mit den Kindern erarbeitet, umgesetzt und schliesslich in ihre Verantwortung gegeben.

JENNY STERCHI


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