Einfach gelesen oder doppelt gesehen

  01.02.2022 Brauchtum, Gesellschaft, Tradition, Volkswirtschaft

Im Februar begegnen uns mit dem 2.2.22 und dem 22.2.22 gleich zwei Schnapszahlendaten. Für viele Brautpaare sind Schnapszahlen ein Grund zu heiraten, für andere haben solche Zahlen eine besondere Magie. Doch wann ist eine Zahl eine Schnapszahl?

KEREM S. MAURER
Laut dem bekanntesten Onlinelexikon ist die gebräuchlichste Form einer sogenannten Schnapszahl eine mehrstellige natürliche Zahl, die ausschliesslich durch identische Ziffern gebildet wird. Also 11, 444 und so weiter. Abweichend von dieser Definition werden auch achsensymmetrische Zahlenpalindrome als Schnapszahlen bezeichnet. Damit gemeint sind Zahlen, die von vorne und von hinten gelesen den gleichen Wert ergeben, wie beispielsweise 1991 oder 2002. Ebenfalls als Schnapszahlen gelten Zahlen, die auf dem Kopf stehend per Drehung um ihren Mittelpunkt auf der Zeichenebene wieder denselben Wert ergeben. Also 69, 609 oder 9886. Wer also den 2.2.22 oder auch den 22.2.22 als Schnapszahl bezeichnet, liegt gleich im doppelten Sinn richtig.

Zu viel Alkohol
Warum nennt man eine Schnapszahl eigentlich Schnapszahl? In der Bezeichnung selbst liegt bereits eine erste Antwort: Schnaps. Übermässiger Alkoholkonsum kann zu doppeltem Sehen führen und somit eine 2 als 22 erscheinen lassen oder eine 4 als 44. Demnach lässt sich der Name Schnapszahl auf alkoholbedingte Doppelsichtigkeit zurückführen. Eine andere Begründung liefert die Website eines Restaurants, derzufolge die Bezeichnung Schnapszahl von einem Spiel mit mehreren Teilnehmer:innen herrührt, bei dem sich der Spielverlauf als Ergebnis einer protokollierten Addition darstellt. Erreicht der Gesamtpunktestand einer Spielerin oder eines Spielers eine Schnapszahl, werden je nach Spielregeln Freigetränke fällig. Es ist kaum verwunderlich, dass es sich dabei meistens um alkoholhaltige Freigetränke handelt.

Viele heiraten
«Wer an einem Schnapsdatum heiraten will, sollte sich den Termin ein Jahr zum Voraus beim zuständigen Standesamt reservieren lassen», empfiehlt Hans Rudolf Egli, Leiter Zivilstandsund Bürgerrechtsdienst des Kantons Bern, denn Schnapsdaten sind beliebte Hochzeitsdaten. Egli bestätigt, dass die beiden Schnappszahldaten im Februar von heiratswilligen Paaren «aussergewöhnlich oft» frequentierte werden. «Im grössten Zivilstandsamt in der Stadt Bern werden am 22. Februar 21 Paare erwartet und im Zivilstandsamt Oberland West, das auch für das Saanenland zuständig ist, zwölf Paare.» Am morgigen 2. Februar werden im Zivilstandsamt Bern-Mittelland neun Trauungen vollzogen, im Oberland-West sechs. Dagegen will am Dienstag, 15. Februar niemand in diesen beiden Standesämtern heiraten. Weil Schnapszahldaten von Brautpaaren derart bevorzugt genutzt werden, erhöhen die Zivilstandesämter an solchen Daten ihre Kapazitäten. «Wir schauen, dass wir an Schnapsdaten möglichst allen Heiratswilligen einen Termin zur Verfügung stellen können», so Egli. Ob Hetero- oder Homopaare grösseren Wert auf Schnapsdatumshochzeiten legen, wird statistisch genauso wenig erhoben wie die Gründe dafür. Auch der oberste Zivilstandbeamte des Kantons kann nur mutmassen, warum das so ist. «Vielleicht entfaltet die Wahl eines entsprechenden Datums eine gedankenstützende Wirkung», meint er augenzwinkernd. Bleibt also die Hoffnung, dass Hochzeitstage, die sich an Schnapsdaten jähren, weniger oder gar nicht vergessen werden.

Stern oder Zahl
Geht es um Verträge oder notarielle Beglaubigungen, scheinen Zahlen ebenfalls für einige unter uns eine gewichtige Bedeutung zu haben. Es gebe zwar eher Menschen, die an einem 13. keine notariellen Verbindlichkeiten eingehen wollen, als solche, die für notarielle Dienstleistungen Schnapszahldaten bevorzugten oder anstrebten, berichtet ein Notariats- und Treuhandbüro aus der Region. Auf der anderen Seite gebe es auch Mitmenschen, für die der Stand der Sterne bedeutsamer ist als das Datum an sich, um wichtige Verträge zu unterzeichnen oder grössere Anschaffungen zu tätigen. Natürlich wäre es wissenschaftlich nicht korrekt, aus diesen Aussagen abzuleiten, dass sich Menschen in romantischen Liebesdingen eher auf die numerologische Energie von Zahlen und Daten verlassen und bei vertraglich rationalen Geschäften auf die astrologische Bedeutung der Sterne. Aber wie heisst es so schön: Zahlen lügen nicht und die Zukunft steht in den Sternen.

Meisterzahlen
In der Numerologie gelten zweiziffrige Schnapszahlen wie 11, 22 , 33 und für manche auch die 44 als sogenannte Meisterzahlen. Diesen wird, wie auf einschlägigen Websites übereinstimmend nachgelesen werden kann, eine ganz besondere Bedeutung zugeschrieben. In Meisterzahlen stecke eine sehr starke Energie, beteuern offenbar numerologisch bewanderte Leute. Solche Meisterzahlenergien werden durchs Band weg hinsichtlich des persönlichen Seelenweges als ebenso heilbringend wie zerstörerisch beschrieben, weil diese Meisterzahlenergien zwiespältig seien und sich nicht nur positiv, sondern auch negativ auswirken können. Matchentscheidend sei es, diese Energien zu verstehen und korrekt anzuwenden.

Offensichtlich übten seit jeher Schnapszahlen eine mitunter magische Faszination auf viele Menschen aus und tun dies auch heute noch. Denn auch Schnapszahlgeburtstagen werden oftmals grössere Bedeutungen zugemessen als normalen Geburtstagen. Wer allerdings bei einem Spirituosenhändler in Gstaad einen ausgewiesenen «Schnapszahlenschnaps» sucht, wird nicht fündig. Wohl aber in Sachen Ideen, wie man Schnaps an Schnapsdaten oder Schnapszahlgeburtstagen an das volljährige Geburtstagskind bringen kann. Schnapszahlen sind und bleiben eine schnapsige Geschichte.


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