Martin Göschel: der beste Koch auf Platz

  04.12.2020 Hotellerie / Gastronomie, Interview

18 GaultMillau-Punkte und ein Michelin-Stern: Martin Göschel vom The Alpina Gstaad ist momentan der beste Koch auf Platz. Wo lässt er sich inspirieren und ist es schwierig, das Niveau zu halten? Diese und weitere Fragen beantwortet er im Interview auf Seite 3.


«Jetzt ist die Zero-Waste-Pasta der Renner»

18 GaultMillau-Punkte und ein Michelin-Stern: Martin Göschel vom The Alpina Gstaad ist momentan der beste Koch auf Platz. Wo lässt er sich inspirieren und ist es schwierig, das Niveau zu halten?

BLANCA BURRI

Martin Göschel, fehlt Ihnen der anspornende Austausch mit Robert Speth, seit er die Chesery nicht mehr führt?
Als Robert Speth aufhörte, ist in Gstaad eine Institution verloren gegangen. Das finde ich sehr schade, aber ich mag ihm den Ruhestand auch gönnen. Soviel ich weiss, ist er in der Szene in beratender Funktion weiterhin aktiv. Wenn wir uns austauschten, war das immer spannend. Wir konnten an Frankfurt anknüpfen, wo wir zu unterschiedlichen Zeiten gearbeitet haben.

Nun kochen Sie im Gourmetparadies Saanenland mit Abstand auf höchstem Niveau. Wie gehen Sie damit um?
Obwohl Robert Speth im Chesery und wir im The Alpina Gstaad beide 18 GaultMillau-Punkte hatten, kann man unsere Gerichte oder unsere Küche nicht vergleichen. Ich werde meinen ganz eigenen Stil beibehalten. Ich freue mich für unser Team, dass wir das Niveau halten konnten.

Gibt es mehr Druck von den Gästen, weil Sie nun der einzige 18-Punkte-Koch im Berner Oberland sind?
Nein. Unter Umständen werden mehr Gäste unser schon sehr gut besuchtes Gourmetrestaurant Sommet aufsuchen. Dann können wir zeigen, was uns ausmacht und bestenfalls Wiederholungsgäste gewinnen.

Sie haben verschiedentlich erzählt, dass die Natur Ihre Inspirationsquelle ist. Können Sie das genauer beschreiben?
Ich gehe oft wandern, laufen und auf Skitouren. In dieser Ruhe lasse ich meine Gedanken schweifen, manchmal entstehen beim Sinnieren neue Gerichte.

Vermutlich tragen Sie immer zwei Beutel mit sich, einen für Pilze und einen für Kräuter.
(Lacht) Oftmals einen für die Pilze. Im vergangenen Sommer habe ich einige Steinpilze gefunden und vergangenen Frühling erstaunlicherweise viele Morcheln. Die daraus gekochten Mahlzeiten geniesse ich sehr.

Der GaultMillau-Führer schwärmt von Ihrem Friséeschaum und vom fermentierten Rucolasud. Bei wem haben Sie das abgeschaut?
Nein, nein, das habe ich niemandem abgeschaut. Ich und mein Team sammeln immer wieder neue Ideen, um Gerichte mit Produkten zu entwickeln, die man nicht unbedingt in der Gastronomie erwartet. Da schwingt der Nachhaltigkeitsgedanke mit, denn es geht um Wiederverwertung. Zum Beispiel die äusseren Blätter vom Friséesalat, die man beim Waschen in der Regel in den Kompost wirft. Ich fand das schade. Ich habe nach Ideen und Lösungen gesucht, wie man sie trotzdem noch verwerten kann. Wir haben sie gewaschen, blanchiert und ein Rezept entwickelt. Eine Art Pesto ist entstanden. Es dient als Basis für weitere Rezepte wie der Schaum vom Frisée.

Können Sie uns weitere Beispiele aufzeigen?
Mit Feldsalat und Radicchio experimentierte ich auch lange. Radicchio ist sehr spannend, weil er eine bittere Note hat und wenn wir ihn punktuell mit süss und salzig kombinieren, ist das Zusammenspiel sehr harmonisch. Den Radicchio-Extrakt löffelweise zu konsumieren, wäre wahrscheinlich nicht so toll (lacht), aber in der Kombination mit weiteren Extrakten ist er aussergewöhnlich.

Was ist die Idee Hinter diesem Experimentieren?
Wir möchten einen Beitrag gegen Essensabfall leisten. Damit können wir auch die Mitarbeiter für das Thema sensibilisieren. Wir kreieren auch neue Geschmacksrichtungen.

Der kreative Prozess findet wohl in der Zwischensaison statt, während Sie die Karte für die nächste Saison zusammenstellen.
In der Zwischensaison muss ich für die Kinder kochen (lacht). Wenn sie aus der Schule kommen, gibts Bratwurst und Pasta, da ist nichts mit Tüfteln. Der kreative Prozess findet bei mir vor allem in der Freizeit statt. Dann spinne ich wie gesagt auf der Skitour beispielsweise ganz viele Sachen im Kopf zusammen. Ich kann mir auch gut vorstellen, wie die Komponenten geschmacklich zueinanderpassen. Zuhause sammle ich die Ideen in einem Heft. Das sehe ich regelmässig durch. Teilweise streiche ich verrückte Ideen, ohne sie auszuprobieren (lacht). Viele Sachen aber probiere ich im Geschäft aus. Im Geschäft habe ich alle Gerätschaften und Lebensmittel. Dort pröble ich herum und tausche mich mit den Mitarbeitenden aus, um die Rezepte weiterzuentwickeln. Oftmals kommt von so einer Basisidee ein gutes Gericht dabei raus.

Während der Saison wird eher am Band produziert. Das stelle ich mir zwar stressig, aber langweilig vor.
Stressig ist es, aber langweilig eigentlich nicht. Das The Alpina Gstaad ist ein Saisonbetrieb mit je drei bis vier Monaten Öffnungszeit. Die ersten zwei Wochen tüfteln wir an den Arbeitsabläufen, bis alles rund läuft. Dann gibt es eine Phase, in der man sich freut, dass es rund läuft. Erst gegen das Ende der Saison hat die Crew manchmal das Gefühl, ach, jetzt haben wir es aber gesehen, es braucht etwas Neues. Dann beginnt das Pröbeln für die nächste Saison. Wir haben das Glück, dass wir viele Stammgäste haben, die sich ab Mitte Saison auf Abwechslung freuen. Ich frage sie manchmal, ob sie etwas Neues kosten mögen. Uns gibt es eine Alternative und wir können die Rezepte verfeinern. Die Gäste fühlen sich geehrt, dass sie Einblick in die neue Saison erhalten und dass ihre Rückmeldung zu den Gerichten gefragt ist.

Die Riesenlanguste aus Afrika, Miso aus Japan und Loup de mer: Verträgt sich die Spitzenküche mit der heute geforderten Nachhaltigkeit?
Man muss verstehen, dass wir ein Fünfsternehaus sind. Wir sind für unsere Gäste da. Wenn sie etwas Spezielles wie einen Hummer aus der Bretagne möchte, dann organisieren wir das. Als Fünfsternehaus in einer Destination wie Gstaad können wir exklusive Wünsche nicht abschlagen. Unsere Überzeugung können wir jedoch sehr sachte vermitteln, indem wir die Gäste an der Hand nehmen und ihnen unsere Ideen erzählen. Die Gäste können unsere Überzeugung annehmen, müssen aber nicht. Wir könnten nicht sagen: «Ab heute gibt es nur noch Sellerie und Kartoffeln auf dem Teller.» (lacht) Das Schöne ist, dass wir neue Wege des Überdenkens kulinarischer Kreationen vorantreiben können.

Nennen Sie ein Beispiel.
Wir haben ein Pastagericht auf der Karte, das aus Brot vom Vortag besteht. Wir trocknen und mahlen es und produzieren daraus einen Pastateig. Das Gericht war in der ersten Saison ein Flop, darüber habe ich mich geärgert. In der folgenden Saison habe ich das Rezept leicht umgeschrieben, jetzt ist die Zero-Waste-Pasta der Renner. Auf der Karte erklären wir unsere Idee.

Was würden Sie sich bestellen?
Das finde ich eine schwierige Frage. Im Sommer würde ich wahrscheinlich einen Salat kombiniert mit der Zero-Waste-Pasta bestellen. Im Winter vielleicht eher ein Raclette im «Swiss Stübli».

Wie sind die Aussichten für den Winter?
Wir werden am 11. Dezember die Türen öffnen und die Erfahrungen im Umgang mit Corona vom Sommer miteinfliessen lassen. In der Küche haben wir den Hygienestandard gegenüber den Vor-Corona-Zeiten noch einmal erhöht. Alle arbeiten mit Mundschutz und mit Handschuhen, alle Küchengeräte werden vor dem Gebrauch desinfiziert und so weiter. Das ist sehr wichtig für die heutige Zeit. Ich vermute, dass diese Standards auch nach Corona beibehalten werden. Wir drücken uns die Daumen, dass wir eine gute Saison haben werden. Die Vorreservationen deuten im Moment in diese Richtung. Aber wir werden weniger Restaurantplätze haben, da die Terrasse wegen der Kälte weniger oft genutzt wird.


ZUR PERSON

Der 49-jährige Martin Göschel ist in Mannheim (D) geboren. Die Kochlehre absolvierte er im Hotel Ritter in Durbach (D). Danach folgten die sogenannten Wanderjahre in Deutschland und die ersten Berührungspunkte mit der Schweiz. Von 2000 bis 2009 hatte er im Tigerpalast in Frankfurt am Main die erste Küchenchefposition inne. Seit 2009 weilt er vornehmlich in der Schweiz. Stationen waren La Bellezza in Ftan sowie das Hotel Alpenruh und die Gastronomie der Schilthornbahn in Mürren. Seit 2018 ist er für die vier Restaurants im The Alpina Gstaad verantwortlich. Martin Göschel ist verheiratet und Vater von zwei Kleinkindern. Ihm liegt viel am wertschätzenden Umgang und dem positiven Teamspirit. Stolz und Übermut sind ihm fremd. Offenheit, Natürlichkeit und Kreativität gehören zu ihm. Im Interview wählt er seine Worte mit Bedacht.

 


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