Klappernde Hufe und bimmelnde Glöckchen

  21.03.2022 Volkswirtschaft, Tradition, Gstaad, Volkswirtschaft, Tourismus, Saanenland, Lauenen

Sie sind aus dem winterlichen Ortsbild von Gstaad kaum wegzudenken: die hübschen Kutschen mit den stattlichen Pferden und den freundlichen Kutschern. Seit rund dreissig Jahren sind sie Teil des winterlichen Lebens. Wie ist die letzte Saison gelaufen?

KEREM S. MAURER
Munter klappern die Hufe, lustig bimmeln die Glöckchen. Unwillkürlich dreht man den Kopf in die Richtung, aus der die Geräusche kommen und sieht ein stattliches Pferdegespann vor einem schönen Schlitten. Auf dem Bock sitzt meist ein Mann in einem warmen Mantel, neben ihm ein Hund. Die Fahrgäste jeden Alters winken, von kuschelig Decken gewärmt, lachend den Passanten zu. Das ist heute ein alltägliches Bild im Saanenland, das so normal nicht wäre, wenn nicht einer der Kutscher in den späten 1980er- oder frühen 1990er-Jahren mit den Pferdeschlittenfahrten begonnen hätte. Neben Johann von Grünigen und Walter Reuteler, die auf der Gstaader Promenade ihre Standplätze haben, bieten auch Ueli Reichenbach in Lauenen – der sich an dieser Stelle allerdings nicht äussern will – und Sarah Matti in Saanen Pferdeschlittenfahrten an. Letztere seit 2017.

Anfänge sind ungewiss
Warum die Pferdeschlittenfahrten im Saanenland gerade Anfang der 90er-Jahre aufgekommen sind, ist schwer zu sagen. Genauso wenig kann an dieser Stelle die Frage geklärt werden, wer als Erster auf diese Idee gekommen war. Es war wohl wie so oft: Einer hatte die Idee, etwas Neues zu machen und bald schon fanden sich Mitbewerber ein. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Die Tatsache, dass Gstaad 1997 autofrei wurde, hat der Kutscherei einen zusätzlichen Schub verliehen.

Apropos Kutschereigeschäft: Wie ist es gelaufen in den letzten Jahren mit Corona und den Touristen?

Kunden mit Nachholbedarf
Ungewöhnlich früh, nämlich schon am 5. Dezember, habe die eben zu Ende gegangene Saison begonnen, sagen die Kutscher. Normalerweise gehe es erst ab Mitte Dezember los. Dazu kamen gute Schneeverhältnisse und schönes Wetter. Die letzte Saison, da sind sich die Anbieter von Pferdeschlittenfahrten in Gstaad und Lauenen einig, war für sie sehr gut. «Vielleicht verspürten die Kunden einen gewissen Nachholbedarf», mutmasst Johann von Grünigen und ergänzt: «Ausser Ski- oder Kutschenfahren konnten die Leute ja nicht viel unternehmen. Unter dem Strich hat uns Corona sogar geholfen.» Walter Reuteler verzeichnete in der letzten Saison mehr Französisch sprechende Gäste und auch von Grünigen bemerkte eine deutliche Zunahme an Schweizer Fahrgästen. Sarah Matti dagegen hat sich wegen Corona in Sachen Kutscherei zurückgehalten. Ausserdem verstarb im Winter eines ihrer beiden Pferde. «Daher konnte ich nur begrenzt Kundschaft mit der Kutsche befördern.» Ihr Vorteil sei, dass sie neben der Kutscherei mit Ausritten im Schnee, Skijöring und Pferdetraining vielseitig aufgestellt sei und daher «immer gut zu tun hatte».

Mehr Gäste als Einheimische
Viele Kundinnen und Kunden von Johann von Grünigen und Walter Reuteler spazieren bei schönem Wetter durchs Dorf, sehen eine Kutsche und buchen spontan eine Fahrt. Doch es gibt auch Stammkunden. Von Grünigen spricht von Kunden, die bis zu sechs Schlittenfahrten in einer Saison bei ihm buchten und auch Reuteler hat sich «über die Jahre einen schönen Stammkundenkreis» erarbeitet. Der Anteil an ausländischen Gästen liege bei rund 80 Prozent. Etwas anders sieht die Sache bei Sarah Matti aus. Sie macht Kutschenfahrten nur auf Reservation und beziffert den Anteil von Schweizer Kunden auf 80 Prozent. «Zu mir kommen hauptsächlich Leute, die selber fahren, reiten oder mit Pferden zu tun haben», sagt sie, geniesst aber auch den typischen Gstaader Mix mit internationalen Gästen, welche die Kundschaft so vielseitig machen.

Kritischer Blick auf das Tierwohl
Wer in der Öffentlichkeit mit Tieren arbeitet, sieht sich immer öfter mit kritischen Blicken der Gesellschaft konfrontiert, weil die Leute hinsichtlich des Tierwohls immer sensibler werden. In diesem Punkt sind sich die Kutscher einig. «Ob die Pferde einen Wagen auf Rädern oder einen Schlitten auf Kufen ziehen, kommt für die Tiere in Sachen Anstrengung auf dasselbe hinaus», hält Johann von Grünigen fest und fügt hinzu: «Es wird immer schwieriger, mit Tieren so zu arbeiten, dass man nicht angezeigt wird.» Die Kutscher sind sich einig: Obwohl ihnen das Wohl ihrer Tiere sehr am Herzen liegt, kommt es diesbezüglich immer wieder zu Anzeigen.

Ans Aufhören denkt keiner
Seit zwei Jahren bietet Walter Reuteler auch Kutschenfahrten im Sommer an und betont, nach über drei Jahrzehnten immer noch Spass an der Kutscherei zu haben. Dasselbe gilt für Johann von Grünigen, der nach über dreissig Jahren noch mit Freude dabei ist. Er hofft, mit seinem selbst gebauten Fonduewagen in Zukunft noch mehr einheimische Kunden zu begeistern. Von Grünigen ist hauptberuflich Landwirt und bietet Pferdeschlittenfahrten nur im Winter an, denn im Sommer geht er «z Alp».
«Die Schlittenfahrerei wäre ohne meine Frau und meine Söhne sowie alle Helferinnen und Helfer, die mich tatkräftig unterstützen, nicht machbar», sagt von Grünigen und bezeichnet die Kutscherei als «guten Zusatzerwerb». Doch die beiden Gstaader Kutscher denken noch nicht ans Aufhören. «Den Kontakt mit den verschiedenen Leuten aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen schätze ich sehr. Über die Jahre haben sich Freundschaften entwickelt, die bis heute halten», sagt Walter Reuteler. Auch Sarah Matti wird weiterhin aktiv mit Pferden für ihre Kundinnen und Kunden da sein.


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