Dem Riemensticker über die Schulter geschaut

  17.11.2022 Nachbarschaft, Brauchtum, Tradition, Pays-d'Enhaut

Vor über fünfzig Jahren probierte Gaston Rosat in ChâteaudOex seinen ersten bestickten Trychelriemen anzufertigen. Das Resultat liess sich sehen, er fand Freude daran, Lederriemen von A bis Z selber herzustellen.

VRENI MÜLLENER
«Es gab damals weder das Internet noch irgendeine Suchmaschine wie heute Google, die Suche nach geeignetem Werkzeug und Materialien war umständlich langwierig und teuer», schaut der Landwirt Gaston Rosat aus Château-d’Oex zurück. Mit der Zeit fand er bei Sattlern das richtige Rindsleder, erstand nach und nach die passenden Werkzeuge, um die Riemen nach mehrheitlich freiburgischem Vorbild zu gestalten und zu schmücken. Er kaufte auch alte Exemplare um die traditionellen Muster abzuzeichnen. Und schon hatte der junge Mann das Rüstzeug, um sich einen Nebenverdienst aufzubauen, der ihn bis ins Rentenalter miternährte, aber vor allem mit viel Befriedigung erfüllte.

Viehzüchter aus Leidenschaft
Zusammen mit seiner Frau Jeanine und später mithilfe der beiden Söhne bewirtschaftete Gaston Rosat den elterlichen Hof im Revers von Château-d’Oex. Seine Leidenschaft galt der Zucht von reinen, behornten Simmentalerkühen. Mit Stolz und Freude stellte er selbst gezüchtete Tiere an Viehschauen und Wettbewerben aus. Unvergessen ist dem Viehzüchter das Winzerfest 1977 in Vevey. Ein grosses Bild mit den ausgestellten Kühen, der junge Landwirt aus dem Waadtländer-Oberland war mit einer Kuh auch dabei, hängt in seinem Atelier, das er sich im Parterre des behäbigen Bauernhauses eingerichtet hatte. In diesem Atelier sollte in den kommenden Jahren noch sehr viel mehr Schönes zusammen kommen. Gaston Rosat machte die Riemenstickerei zu seiner Nebenbeschäftigung in ruhigen Zeiten und geniesst heute einen ausgezeichneten Ruf im Greyerzerland, im Pays-d’Enhaut und bis in die hintersten Ecken des Saanenlandes. Seine aufwendig verzierten Glocken- und Trychelriemen sind sehr gefragt, hie und da kann er auch Exemplare ins benachbarte Ausland schicken.

Guter Nebenerwerb im eigenen Heim
Die Herstellung von kunstvollen Riemen war für den vielseitigen Bauern eine ideale Ergänzung zum Betrieb, er konnte sich die Zeit selber einteilen und an seinen Einzelstücken arbeiten, wann es für ihn passte. Um eine schön verzierte «Courroie», wie man auf Französisch sagt, herzustellen, benötigt der rüstige Rentner drei bis vier Wochen, das heisst ungefähr 100 Stunden. Zwischen zehn und zwanzig Stück werden pro Jahr gestickt. «Natürlich konnte ich nie verlangen, was ich anhand meiner Stunden haben sollte. Aber der Erlös aus meiner Arbeit reichte, sodass ich nicht sonst noch auswärts arbeiten musste», stellt der begnadete Künstler zufrieden fest. Wenn es etwas günstiger werden soll, wie zum Beispiel für eine Viehzuchtgenossenschaft oder die «Jeunesse», gibt es die Möglichkeit, maschinell vorfabrizierte Riemen bei einem Sattler zu bestellen und nur die Stickerei hinzuzufügen.

Leder in unzähligen Variationen
Beim Blick ins Vorratslager von Rosat bekommt man eine Ahnung, was es alles braucht, um so wundervolle Objekte zu gestalten. Festes Rindsleder, schwarz oder weiss, vier bis fünf Millimeter dick bildet die Grundlage für einen Riemen. Feineres Kalbsleder in rot, weiss und braun braucht es, um die Umrandung von Hand anzunähen. Gestickt wird vor allem mit schmalen Ziegenlederriemchen. Das Leder könne durchaus noch aus der Schweiz kommen, gegerbt werde es aber meistens in Osteuropa. Dunkelroter, dicker Filz wird benötigt für Blumenornamente, Leder im richtigen Blauton für Enziane sei kaum mehr zu finden. Die Büschel oben auf der Trychel werden aus roten und weissen Lederstreifen, zusammen mit rotem Filz, angefertigt.

Zeugen aus alter und neuer Zeit
Wer das Glück hat, in die «Visitenstube» den hinteren Teil des Ateliers eingeladen zu werden, dem bleibt erst einmal der Mund offen: Alle vier Wände sind vollbehangen mit wunderbar gestalteten Exemplaren, viele aus den Händen von Rosat. Ein alter Zeitzeuge dokumentiert die Anfänge der Halterungen aus Holz, mit Eisen beschlagen. Das Erstlingswerk des Künstlers hängt auch da und trägt die Erste von 1000 Zehnertrycheln, die der bekannte Schmied Pierre Turrian, ebenfalls aus Château-d’Oex, angefertigt hat. Längst hat ein Sohn des Riemenstickers den Landwirtschaftsbetrieb übernommen. Den Rhythmus seines Berufes hat der 73-Jährige immer noch intus: Gegen vier Uhr nachmittags unterbricht seine Frau das angeregte Gespräch auf Französisch und Deutsch im Atelier und ruft zum Zvieri. Danach gehts ab zu den 26 Simmentalerinnen, die im Stall auf Kost und Pflege warten.


PFLEGETIPPS

Tipps zum Pflegen und Einwintern von Lederriemen: Die Lederriemen werden am besten ein bis zwei Stunden in lauwarmem Seifenwasser eingeweicht. Anschliessend können die Ablagerungen mit einer Bürste oder mit einem schwachen Strahl aus dem Hochdruckreiniger entfernt werden. Ist das Leder trocken, tut ihm eine Behandlung mit farblich passendem Lederöl gut. Die heutigen Leder sind oft zu hart und zu glatt, daher bewährt es sich, die Innenseite mit farblosem Lederöl zu behandeln.

VRENI MÜLLENER


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