Berchtoldstag, 2. Januar

  31.12.2021 Serie

In unserer Reihe «Aus früheren Zeiten» erzählen Leser/innen Episoden – Geschichtliches, Erlebtes, Erinnerungen – aus früheren Zeiten.

Für unsere Familie war der Berchtoldstag früher ein besonderer Tag. Viele Leute betrachteten ihn mehr oder weniger als einen Ferientag. Gesetzlich gesehen war es und ist es noch immer ein zweiter Feiertag zu Beginn des neuen Jahres. Lange Zeit war es immer ein Tanztag, meistens im La Gare in Saanen und meines Wissens auch in der Lauenen, möglicherweise im Geltenhorn oder noch im damals bestehenden Bären. Das weiss ich nicht so genau, ich lasse mich gerne von einheimischen Lauener Bürgern ergänzen. Einmal war ich am Bärzelistag im La Gare dabei. Das war 1961. Damals war ich für ein halbes Jahr im Welschland und für zwei, drei Tage im Saanenland im Urlaub.

Zurück zu uns in den Jugendjahren, als wir Buben von der Hublen zur Schule gingen. So wurde, wenn das Wetter gut war, am 2. Januar irgendwo Heu gebunden oder auch Holz mit dem Schlitten nach Hause gebracht.

Ich schreibe hier zwei Begebenheiten nieder. Die erste ganz aus der Erinnerung. Die zweite entnehme ich dem Schulheft vom Jahr 1957 – wortgetreu, wie ich den Aufsatz damals im 8. Schuljahr in der Ebnitschule bei Werner Jaggi verfasst habe. Jedoch habe ich zum besseren Verständnis ein paar Sätze beigemischt. Bei der ersten muss es in den Jahren 1952 bis 1954 gewesen sein, ich kann mich nicht mehr an das genaue Jahr erinnern.

Berchtoldstag, 2. Januar 195…?
Am Morgen eines schönen Tages, nach dem frühen Besorgen der Tiere – Kühe, Schafe und Hühner – begann das Abenteuer. Es hatte ziemlich viel Schnee. Vermutlich hatte es wie üblich über die Festtage auch Regentage gegeben. Es war ein ziemlich kalter Tag. Wir, die ganze Familie – die Eltern und wir drei Buben – starteten das Unternehmen.

Wir nahmen drei Hornschlitten und das nötige Gerät sowie Essen und Trinken mit. So ging es in die Matten. Damals war noch das Eggli-Funi in Betrieb. Da musste man kurz nach acht Uhr morgens bei der Talstation sein, damit man Schlitten und Material hinauf transportieren konnte. Das Funitrassee war ziemlich steil bis auf das Eggli hinauf. Das Trassee führte damals in der gleichen Schneise hinauf wie heute die Gondelbahn. Die Gondelbahn Eggli wurde meines Wissens im Januar 1956 neu in Betrieb genommen.

An jenem Morgen war das Trassee ziemlich eisig und gefährlich. So wurden die Schlitten und das Material auf den Funischlitten geladen und wir konnten wir auch mitfahren bis auf das Eggli. Die Bergstation war damals an der gleichen Stelle wie heute. Damals war dort noch kein Bergrestaurant, jedoch gab es im Winter in der Rossfälishütte ein sogenanntes Restaurant.

So zogen wir alle samt Material hinter die Egg. Es hatte wenig Spuren und tiefen Schnee. Es hatte noch nicht so viele Skipisten und die wurden durch die Skifahrer mit den Abfahrten selbst erstellt. Es hatte höchstens einige Schlittenwege von den Landbesitzern, weil diese wie alle das Holz, Magerheu und die Streue im Winter zu Tale holten. Die einen mit den Pferden und die anderen wie wir mit den Hornschlitten. Es gab damals noch keine Transporter und Helikopter. Heute wird schon im Sommer und Herbst alles heruntergeholt.

Hinter der Egg angekommen, wurde die grosse Streuetriste gebunden. Das gab ziemlich viel Arbeit: normalerweise zirka acht Burdeni und einige Seiltücher voll. Nach getaner Arbeit begaben wir uns auf die Talfahrt ins Rübeldorf hinunter. Wir konnten nicht alles gebundene Material mitnehmen, das musste an einem späteren Tag geholt werden. Das erste Stück Weg war sehr beschwerlich, denn es hatte keinen richtigen Schlittenweg. So konnten wir auch nicht allzu viel mitnehmen. Ab Dubis Fang war es schon besser. Möglicherweise hatte es ab dort einen Trämelweg. Das heisst, es wurde mit Pferden Trämelholz ins Rübeldorf zu den Sägereien geführt. Vom Stutz hinunter ging jedoch die Fahrt rasant. Ich weiss noch, im Wehren Rain hinunter war ein guter, steiler Weg. Vom Haus hinunter mussten wir jedoch den guten Weg verlassen und durch eine schlechtere Spur zum kleinen Scheuer hinunterfahren. An jenem Ort steht heute die neue Talstation der Sesselbahn Rossfälli. Jedenfalls blieben wir mit dem Schlitten im tiefen Schnee stecken. Den Schlitten brachten wir nicht mehr ganz hinunter. Es zerbrachen Schlittenhörner und eventuell eine Kufe. Es war bereits spätabends und schon fast dunkel, als wir unten waren.

Aber es hiess, jetzt noch auf die Hublen zu gehen und alle Tiere zu versorgen. Es war ein strenger Tag. Wir alle waren sicher hungrig und sehr müde. Vermutlich begann am nächsten Tag die Schule im neuen Jahr.

«Binden» am Berchtoldstag – «Bärzelistag», 2. Januar 1957
Am 2. Januar standen wir früh auf, damit wir um 7.30 Uhr mit Hirten im Stall fertig waren. Gottlieb und ich besorgten die vier Kühe und einige Mäschrinder und Kälber auf den Hublen. Nach dem Frühstück bereiteten Gottlieb, Willi und ich uns vor. Wir sammelten die Seile, Spannstricke, Rechelein und Schaufeln zusammen; all das und den Rucksack banden wir auf den Zweijöcherschlitten. Gottlieb holte noch im Ebnit den Dreijöcherschlitten und zwei leere Seilgarnnetze. So zogen wir gegen die Mettlen zur Talstation. Wir mussten einige Minuten bei der Eggli-Gondeltalstation warten. Denn man konnte bei der Betriebsaufnahme am Morgen hinauffahren. Nachher kommen all die vielen Skifahrer und wir hätten nicht mehr hinauffahren können. Jetzt luden wir die Schlitten auf das Materialwägelchen und schon fuhren sie davon und wir in unserer Kabine folgten nach.

Oberhalb des Lerchweidstafels gab es plötzlich einen Ruck und die Gondel senkte sich, aber hob sich gleich wieder. Der Stillstand musste unternommen werden, damit die ersten Angestellten in der Bergstation aussteigen konnten und anschliessend den normalen Tagesbetrieb aufnehmen konnten. Nach einigem Warten gings weiter und oben in der Bergstation warteten schon unsere Schlitten auf uns.

Jetzt zogen wir bis zur Hinteren Egg. Unser Fang ist hinter der Rossfälli und unterhalb des Vorderen Egglis. Bei den Tristen angekommen, mussten wir Fahrstatten (einen rechten, festen Platz vorbereiten). Ich krabbelte auf die Ausfuttertriste und fing an, Heu hinunter zu werfen, nachdem ich den Schnee und die «Chrisäste» entfernt hatte. Willi spreizte das Langseil und die drei Querseile aus. Nun konnten wir Walme um Walme auf die Steile legen und schon gings ans Binden. Zuerst nimmt man das Langseil und bindet, meistens mit einem «Zuglätsch», die Burdi zusammen. Nachher kommen die Querseile in gleicher Weise an die Reihe. So gibt es nach dem «Abstrehlen» eine schöne Burdi. Das ist jedem Binder sein grosser Stolz. Beim Binden musste Willi auf der Burdi stampfen, damit diese richtig fest wurde. Ein Sprichwort sagt: «Guet bunde, isch halb gfahre».

So machten wir drei Bürden und vom Rest des Futters gab es noch ein Seilgarn voll. Schon war die erste Triste gebunden. Wir nahmen das Mittagessen ein. Nachher fuhren wir mit zwei Burdeni auf den zwei Hornschlitten gegen das Bärgli, die Alphütte vom Unter Haldisbergli. Die Strecke war ziemlich ohne grosse Höhenunterschiede, teilweise geneigtes Terrain. Nach einer halben Stunde kamen wir zum Stafel. Hier fuhren wir mit den Bürden über zwei vier Meter lange Brügiladen in die Diele des Berglistafels, wo wir die Bürden abstürzten. Jetzt mussten wir noch einmal Hinter die Egg, um den Rest zu holen. Um 13 Uhr kamen wir wieder in die Berglidiele. Hier zogen wir die Seile raus. Dieses Heu wurde ein Vorrat für die Alpzeit des nächsten Sommers. Gottlieb verschloss das Stafel wieder richtig.

Jetzt fuhren wir mit den leeren Schlitten und den Siebensachen auf den Stutzboden hinunter. In der Nähe der Talstation des heutigen Schopfenliftes banden wir noch eine zweite Triste. Es gab drei Bürden und zwei Seilgarneten. So fuhren wir mit zwei Schlitten mit dem Magerfutter auf die Hublen heim.

Am nächsten Tag banden wir noch eine grössere dritte Triste. Diesmal wieder Hinter der Egg, und diesmal war es Streue. Das heisst, der Ertrag vom Feuchtgebiet, Riedland. Und somit waren unsere Weihnachts- und Neujahrsferien vorbei. Die Schule konnte wieder beginnen.

HEINRICH VON SIEBENTHAL

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