Im Saanenland aufgewachsen und jetzt …
29.10.2021 SerieDas Saanenland war und ist geprägt von Zu- und Wegzügen. Die Leserinnen und Leser des «Anzeigers von Saanen» sind nicht nur im Saanenland zu finden, sondern in der Schweiz und im Ausland – ja, in der ganzen Welt. Diese «Auswanderer» will «Im Saanenland aufgewachsen und jetzt …» vorstellen.
«Ihr Aufenthalt im Sonnenhofspital wird von Menschlichkeit, hoher Fachkompetenz und modernster Medizin geprägt sein. Unsere Ärztinnen, Ärzte und unsere Mitarbeitenden engagieren sich täglich für unseren hohen Qualitätsstandard und für Ihre ganz persönliche Betreuung.» So stellt sich der Arbeitgeber von Orlinda Kubli im Internet vor. Dieser Einsatz für ihre Mitmenschen ist im ganzen Gespräch mit ihr zu spüren. Woher kommt dieses Engagement? Die Zeit ihrer Kindheit und Jugend im Saanenland war prägend. Unvergesslich die vielen Sommer auf der Alp Wittenberg im Tschärzis, auf die keine Strasse führte, sondern ein Alpaufzug mit einer Holzkiste und zwei Holzbänken als Kabine. Damit fuhr Orlinda hinauf zur Alp und von ihr herunter und hatte dabei nur einmal Angst – bei einem aufziehenden Gewitter. Jedes Jahr wurde die Bahn technisch überprüft. Daneben gab es wenig Technik auf der Alp, kein Natel. Morgens und abends durften die zwei Termine mit dem Funkgerät nicht verpasst werden, um wichtige Informationen zu geben und zu erhalten.
Orlinda war gerne auf der Alp. Für sie war die Bergzeit sehr schön. Sie habe dort gelernt zu arbeiten, anzupacken. Die Mithilfe sei selbstverständlich gewesen. Draussen war sie lieber als drinnen: zäunen, Misthäufchen machen in der Form der Fünf auf einem Würfel, schwenten. Oft haben sie die Nachmittage verbracht mit Schwenten. Zur Belohnung wurde damit ein grosses 1.-August-Feuer kreiert. Gemolken wurde auf Wittenberg aber schon maschinell. Dafür habe sie immer noch im Unterziehbett in der Wohnstube geschlafen. Ohne TV hatte man Zeit, am Abend miteinander zu spielen und beisammenzusitzen, was sie sehr schätzte. Die Alp hatte die Familie Kubli von der Gemeinde Gsteig gepachtet.
In Bern arbeiten – im Saanenland ausruhen
Das Saanenland ist auch nach dem Umzug nach Bern Orlindas Heimat geblieben. Die Familie ist ihr wichtig und die Besuche auf Letzenachern in Feutersoey häufig. Sie liebt die Natur, geht auf Pilzsuche, ist gerne im Garten, unternimmt Wanderungen und fährt im Winter gerne Ski. Beruflich zieht es sie zurzeit nicht ins Saanenland, da sie ihren Arbeitsplatz in Bern schätzt und attraktiv findet.
Bern wurde zum Ausbildungs- und Arbeitsort
Die Schule besuchte Orlinda in der Gemeinde Gsteig, bevor sie sich ein Jahr an der NOSS in Spiez weiter ausbildete. Nach einer Schnupperwoche im Spital Saanen stand der Berufswunsch fest: Pflegefachfrau. Damit wurde auch Bern zum Ausbildungsort. Gerne denke sie an die vier Jahre in der Engeriedschule in der Nähe des Tiefenauspitals zurück – eine gute Zeit. Sie habe nicht geraucht, kein Natel gehabt und sei sich ein wenig als Landei vorgekommen. Die Klasse habe eine gute Grösse gehabt und sie wurde trotz Landleben gut aufgenommen und integriert. Dennoch fuhr sie an den Wochenenden ins Saanenland und ging am Abend dort in den Ausgang.
Sie findet das Leben in der Stadt angenehm, die vielfältigen Angebote rasch und leicht erreichbar, die Arbeit attraktiv und abwechslungsreich. 2012 haben ihre zwei Geschwister und sie das Elternhaus in Feutersoey übernommen und umgebaut. Ostermundigen, wo Orlinda wohnt, wenn sie in Bern ist, sei ihr Zuhause, sagt sie, nicht nur Letzenachern und Feutersoey. «Wir pflegen eine gute Nachbarschaft. Der Bus fährt häufig. Jahrelang bin ich mit dem Velo zur Arbeit gefahren, nun noch ab und zu, meistens gehe ich zu Fuss über den Schosshaldenfriedhof, auch nachts. Ich geniesse in Bern meine Unabhängigkeit. Weil ich viel und intensiv arbeite, geniesse ich das Saanenland als Rückzugsort.»
«Ich mache alles gerne»
Das Sonnenhofspital sei aus ihrer Sicht viele Jahre einzigartig auf dem Platz Bern gewesen, da es viele Fachgebiete angeboten hat und diese über das ganze Spital verteilt waren. So konnte sie während über zehn Jahren sehr interdisziplinär, querbeet in allen Fachbereichen arbeiten – als Allrounder, ohne die Abteilung zu wechseln. «Durch die Fusion mit dem Lindenhof 2012 haben wir natürlich auch Fachgebiete verloren, da diese zusammengelegt und in den Lindenhof verschoben wurden. Dies machte wirtschaftlich völlig Sinn, obwohl es schade war, als Pflegefachfrau diese attraktiven Spezialgebiete zu verlieren. Unterdessen ist der Sonnenhof auf eine fachkompetente Orthopädie ausgerichtet. Der Sonnenhof ist mit seinen rund hundert Betten überschaubar», sagt Orlinda. «Kein Tag ist gleich wie der andere. Die Arbeit bleibt interessant und anspruchsvoll.» Ganz besonders gerne arbeite sie am Patientenbett und sie denkt lange nach auf die Frage, was sie nicht gerne mache, und findet dann dazu kaum eine Antwort. Freude bereiteten ihr auch die Förderung der Lernenden in der Ausbildung, sagt die Berufsbildnerin: «Diese jungen Menschen als angehende FaGes (Fachfrau/Fachmann Gesundheit) drei Jahre begleiten zu können, ist sehr schön und spannend, so auch die HF-Studierenden in ihrem Lernprozess zu fördern und unterstützen.»
Bedenklicher Pflegepersonalmangel
Die Pandemie war für das Pflegepersonal anspruchsvoll, vor allem die zweite Welle. Die Fachkräfte haben sich in dieser schwierigen Lage gegenseitig in der Lindenhofgruppe ausgeholfen. Das sei eine intensive Zeit mit vielen Patienten gewesen. Während des Lockdowns hätten die sozialen Kontakte gefehlt und die Zeit war ermüdend für sie. Der Pflegepersonalmangel war schon vor der Pandemie ein grosses Thema und hat sich nun noch verstärkt. Dies stimmt Orlinda bedenklich. Werden doch die Menschen immer älter und multimorbider und zugleich weist die Forschung der Medizin grosse Fortschritte auf. Bereits jetzt sind viele Stellen schweizweit in der Pflege unbesetzt und dies hat teils bereits Folgen, indem Betten geschlossen werden müssen und der Pflegealltag noch anstrengender ist. Unter solchen Bedingungen ist klar, dass die Pflegequalität leiden wird. Dabei gibt es viele gute Gründe, einen Pflegeberuf zu ergreifen: Die Arbeit ist spannend und abwechslungsreich, die Zusammenarbeit im interdisziplinären Bereich vielseitig und man ist in Kontakt mit den Patienten, aber dazu müssen eben auch die Arbeitsbedingungen stimmen. Zudem wird es eine zunehmend grössere Herausforderung, das fehlende Personal professionell auszubilden, wenn die Zeit im Pflegeberuf fehlen wird. Am 28. November wird die Bevölkerung zur Pfleginitiative abstimmen. «Ich hoffe, dass diese Pflegeinitiative angenommen wird und ich noch lange diesen Beruf mit Freude und viel Energie ausführen werde», sagt Orlinda Kubli.
Das Cordon bleu im Tramdepot
Orlinda hat ein Generalabonnement und pendelt damit zwischen Ober- und Unterland hin und her. Manchmal auch schlafend. Liebe Leserin, lieber Leser, wecken Sie die Pflegefachfrau vorsichtig, wenn Sie von ihr Weiteres erfahren wollen über die Herausforderungen der Pflege, von Reisen nach Kanada und Neuseeland, warum sich der Schosshaldenfriedhof zum Lesen eignet und warum man als Team im Alten Tramdepot so gut trinkt und isst und was dies mit Nicolas Zürcher zu tun haben könnte.
THOMAS RAAFLAUB