Im Saanenland aufgewachsen und jetzt …

  16.07.2021 Serie

Das Saanenland war und ist geprägt von Zu- und Wegzügen. Die Leserinnen und Leser des «Anzeigers von Saanen» sind nicht nur im Saanenland zu finden, sondern in der Schweiz und im Ausland – ja, in der ganzen Welt. Diese «Auswanderer» will «Im Saanenland aufgewachsen und jetzt …» vorstellen.

Der Chüijer seit zum Meisterchnächt: I ds Tal em’bri g’rad wollt i g’schwind; Es bb’langet mi na Wib u ch-Chind. Jetz acht mer zum mi’m Sachli rächt! Un eis vor allmu muest mer lose, Süst bist du z’Hand im bööse Hose: Bschlüss d’Stalltüür nit, i wollt’s nit haa! Es ist nit Bluug, es ist mer Äärist. Üns’s Steefeli ist hie i d’twärist Grad b’buwes uf e Friesewääg. D’rum b’schlüss’ nit – ol süst bist nit z’wääg! (Aus dem Gedicht «Der Friesewääg»)

André Jaggi war elf oder zwölf Jahre alt, als er als Statterbub bei Reinhold Desplands auf dem Hugeli Statterbub war. Ein Privileg für ihn. Die Familie Desplands wohnte im Bädli in Feutersoey wie in alter Zeit und auf der Alp noch einfacher. Dorthin wurde mit Ross und Wagen gezügelt, um sich dann an Schluck, Britsche, Käse und Kaffee zu erfreuen. Einmal im Monat gab es einen Einkauf bei Wehren in Schönried. Häufiger waren die Besuche bei den Nachbarn auf dem Rellerli und dem Plani – «z Abesitz», wie man sagte. Dort bekam André auch andere Sagen als «Der Friesewääg» zu hören. Bei Kerzenlicht oder zum Schein einer Petroleumlampe – in der kaum erleuchteten Finsternis wirkten die Erzählungen noch beeindruckender – bekam das Mittelalter Gestalt, wurde der Aberglaube glaubhaft. Das sind Erinnerungen, von denen André Jaggi noch heute zehrt. Walkers auf dem Rellerli hatten ein batteriebetriebenes Transistorradio. Dort bekam der Statterbub 1969 die erste Mondlandung mit.

Vom Hotel Palace in luftige Höhe
Zurück im Tal musste André Jaggi zur Schule gehen – ungern, wie er sagt. Vier Jahre in die Primarschule Feutersoey, fünf Jahre in die Sekundarschule im Ebnit. Er habe sich schlecht konzentrieren können, sei aber kein Zappelphilipp gewesen, erst viel später habe er eine Diagnose gewagt. «Dann habe ich bei Monsieur Jolidon im Palace eine Kochlehre gemacht. Dort hat es mir gefallen. Das war eine neue Welt mit interessanten Kontakten mit den über 200 Mitarbeitenden aus vielen verschiedenen Ländern – aus Spanien, Italien, die meisten Gastarbeiter. Stell dir vor: In der Küche arbeiteten 40 Köche!» Nach abgeschlossener Lehre besuchte André Jaggi die Hotelfachschule in Luzern und arbeitete danach als Flight-Attendant bei der Swissair.

Weltweite Entdeckungen
«Die Zeit mit Swissair hat mir ein Tor zur Welt aufgetan», ist er überzeugt. «Ich besuchte viele verschiedene Länder und kam in Kontakt mit den verschiedensten Kulturen.» Die Rotationen dauerten manchmal bis zu 16 Tage und ermöglichten längere Aufenthalte mit viel Freizeit für Entdeckungen und Ausflüge im Fernen Osten oder in Südamerika. In den Achtzigerjahren konnte ein Flugzeug bis zu zehn Stunden in der Luft bleiben, heute können sie doppelt so lange fliegen und fast jeden Ort auf der Welt direkt anfliegen. Die zehn goldenen Jahre mit der Swissair liessen in André Jaggi einen Wunsch aufkeimen: von der Schweiz nach Südamerika auswandern.

Fondue im brasilianischen «Grand Chalet»
Zum einen faszinierte ihn die Exotik des Kontinents, zum anderen lebte seine Schwester Yvonne mit dem ehemaligen Gsteiger Lehrer Urs Ammann in Brasilien. Zusammen betrieben sie einen Gasthof mit Bungalows in Nova Friburgo. André Jaggi half ihnen beim Aufbau des Unternehmens und arbeitete in der Küche der «Auberge Suisse». Nach dem Kennenlernen seiner Frau Monica machte er sich selbstständig mit zwei Restaurants: zuerst mit dem «Grand Chalet» und danach mit dem «Bistrot Suisse». Die Hochzeit mit Monica wurde selbstverständlich im «Grand Chalet» gefeiert, das wirklich einem Chalet glich und in dem schweizerische und französische Spezialitäten serviert wurden: Raclette, Fondue und Zürcher Geschnetzeltes.

Ein Leuchtturm am Sandstrand
Monica und André Jaggi tauschten dann das subtropische Klima von Nova Friburgo mit dem tropischen von Bahia aus. Er konnte sich dort einen Traum verwirklichen: das Hotel Farol da Ilha am 17 Kilometer langen Sandstrand betreiben. Selber mauerte er den Leuchtturm, den «Farol», vorne am Strand, sogar mit Leuchtfeuer, das er aber nicht entzünden konnte, weil damit Schiffe in die Irre geführt worden wären. Dafür wurde die Familie um Sohn Alexander und Tochter Lisa erweitert. André Jaggi schwärmt: «Die Gegend war traumhaft schön! Flüsse, Mangrovenwälder – für die Kinder das reine Paradies. Die reiche Hafenstadt war für den Kakaohandel gebaut worden. Ich traf dort auch Landsleute.»

Heimweh nach Brasilien
Doch leider sollte das Glück nicht dauern. Alexander wurde 15 Jahre alt und ihm fehlten in Süd-Bahia die Ausbildungsmöglichkeiten: kein Gymnasium, keine Bildungsperspektiven. André Jaggi bedauert, dass in Schwellenländern nur die vermögenden Eliten sich gute Ausbildungen leisten können. Die unbefriedigende Situation zwang die Familie zu einer Rückkehr in die Schweiz mit ihrem dualen System und den vielfältigen Bildungsmöglichkeiten. «Nein», sagt André Jaggi, «bei diesem Entschluss hat das Heimweh keine Rolle gespielt. Ich habe eine Zigeunerseele. Wenn ich Heimweh verspüre, dann nach Brasilien, der grenzenlosen Natur, der Mentalität der Menschen, ihrer Offenheit, Lebensfreude und nach der Musik. In den Achtzigerjahren herrschte die Militärdiktatur und damit Zucht und Ordnung mit wenig bis fast keiner Kriminalität. Heute ist das anders.»

«Viva o Brasil»
«In den grossen Städten regiert die Mafia und überall herrscht Korruption, dabei wäre Brasilien mit seinen 230 Millionen Einwohnern sehr reich. Dieser Reichtum wird aber veruntreut. Die Politiker schaufeln den Gewinn in die eigenen Taschen. Es drohen Zustände wie in Venezuela. Dazu kommt die Kriminalität. Sie ist allgegenwärtig, Gewalt ist banal. Beim Verlassen des Hauses ist ein Blick nach rechts und nach links ratsam, Überfälle und Diebstähle sind alltäglich, Morde auch. Justiz, Legislative, Exekutive und die Medien sind korrupt.» Er habe von Marie Jaggi Moral und Ethik gelernt. Einige dieser Lektionen hätten viele Menschen in Brasilien bitter nötig. Dennoch blickt André Jaggi gerne auf seine Zeit in Brasilien zurück und kocht zuweilen brasilianisch. Nebenstehend ein Rezept zum Ausprobieren – guten Appetit!

THOMAS RAAFLAUB


ACARAJÉ (BOHNENBÄLLCHEN) – REZEPT FÜR VIER PERSONEN

Bohnenmasse
1 Dose weisse Bohnen (Cirio Bianchi di Spagna), 1 Schalotte, fein gehackt, 1 Knoblauchzehe, fein gehackt, 1 TL roter Tabasco, 1 TL Salz, wenig Pfeffer, 5 EL Paniermehl Bohnen mit allen Zutaten bis und mit Pfeffer pürieren, Paniermehl daruntermischen. Masse in 12 Portionen teilen, zu ovalen Tätschli formen.

Panieren
2 EL Weissmehl, 100 g Paniermehl, 1 Ei Mehl und Paniermehl in je einen flachen Teller geben. Ei in einem tiefen Teller verklopfen. Bohnenbällchen portionenweise im Mehl, dann im Ei und in der Panade wenden, Panade gut andrücken.

Bohnenbällchen frittieren
Brattopf bis auf 1/3 Höhe mit Öl füllen, auf ca. 180°C erhitzen. Bohnenbällchen portionenweise je ca. 4 Minuten hellbraun frittieren. Bohnenbällchen mit einer Schaumkelle herausnehmen, auf Haushaltpapier abtropfen.


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