Vom Fliegervirus angesteckt

  23.03.2021 Serie

Das Saanenland war und ist geprägt von Zu- und Wegzügen. Die Leserinnen und Leser des «Anzeigers von Saanen» sind nicht nur im Saanenland zu finden, sondern in der Schweiz und im Ausland – ja, in der ganzen Welt. Diese «Auswanderer» will «Im Saanenland aufgewachsen und jetzt …» vorstellen.

Nein, es gibt keinen Saanerverein in Stans. Aber möglich wäre es. Im Clubhaus der Segelflugtruppe Nidwalden treffen sich an diesem Nachmittag sechs Saaner: Christian Hählen, Matthias Schopfer, Ueli Matti, Sascha Brand und Leon Blum – alle im Saanenland aufgewachsen und jetzt wegen der Pilatuswerke in der Innerschweiz lebend und arbeitend, angesteckt vom Fliegervirus, welches gesünder als das andere, momentan bekanntere sei, mit angenehmeren Folgeerscheinungen, da sind sich die fünf einig. Die Idee zum Treffen kam Christian Hählen, nachdem er den Artikel zu Jérôme d̓Hooge gelesen hatte.

Lange Zeit sei er der einzige Saaner bei Pilatus gewesen. Seit einigen Jahren seien sie nun zu dritt und es freue ihn, dass sich alle vier Eingeladenen heute zum Treffen einfinden werden. Der Ort ist einfach zu erklären: Christian Hählen ist während 40 Jahren unfallfrei Segelflugzeuge geflogen, er hörte 2016 aus verschiedenen Gründen damit auf. Ja, er sei auch über das Saanenland geflogen: «Das war ein normaler Sonntagsausflug. Start in Buochs, dann zum Brienzerrothorn, Niederhorn, beim Stockhorn ins Simmental und ins Saanenland. Und wie zurück? «Wenn das Wetter es erlaubte, weiter über den Sanetsch ins Wallis und über die Grimsel zurück in die Innerschweiz. Oder über Martigny bis nach Disentis und von dort nach Hause.» Er sei alleine geflogen, habe immer viel zu tun gehabt – Thermik suchen, sie ausund dann weiterfliegen. Übrigens sei er im Saanenland auch mit der Segelfluggruppe gewesen, in den bekannten Lagern. «Die heutigen Hochleistungssegler sind aerodynamisch perfekt, sie gleiten bei 1000 m Höhenverlust 50 km weit. Nur mit ihnen sind so weite Ausflüge möglich.» Wobei das Wort Ausflug hier seine wahre Bedeutung erhält.

In der Landwirtschaft zupacken gelernt
«Die Segelflugzeuge habe ich in der Lauenen beim Heuen kennengelernt – ‹hinderem Siee uf em Büehl›. Wenn ich freie Zeit hatte, bin ich mit dem Dreigangvelo nach Saanen gefahren, um mir die Flugzeuge anzuschauen.» Er habe nicht wählen können, musste wegziehen. Der Bauernsohn durfte als Jüngster der Familie eine Lehre als Konstruktionsschlosser und Apparatebauer in Thun machen. Zuerst wohnte er bei einer Schlummermutter und dann bei seinem Bruder, der dort eine Familie gründete. Er sei gerade 16 Jahre alt geworden, als er im Frühling 1966 nach Thun aufbrach, wo alles anders war als im Saanenland, eine andere Mentalität herrschte, andere Leute – ungewohnt für den jungen Mann, der selten Lauenen verlassen hatte. «Ich habe auf dem Bauernbetreib zupacken gelernt und das hat mir geholfen.» Seine Kollegen während der Lehre hatten Freude an seinen Saaner Ausdrücken und konnten nicht genug bekommen von zum Beispiel «Fläri Schniee».

In Nidwalden sesshaft geworden
Seine Frau Margrit habe er nicht durch die Fliegerei kennengelernt, sondern nach einer Volkstheateraufführung beim Tanz. Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen, sagt Christian Hählen, und er habe mit der Heirat endgültig in Nidwalden Fuss gefasst, trotz seines anfänglich noch «falschen Glaubens», was heute aber kein Thema mehr sei. Mit seiner Frau sei er auch zum letzten Mal selber geflogen – in einem doppelsitzigen Motorensegler nach Saanen, um dort mit seiner 70-jährigen Schwester einen Rundflug zu machen, zur Feier ihres Geburtstags. «Dann flogen meine Frau und ich wieder zurück.»

Christian Hählen geht als stolzer Lauener immer noch gerne ins Saanenland, zu den zwei Geschwistern und zur Schwester in Flendruz oder zum Skifahren, wie damals mit den zwei Kindern bei minus 30 Grad am Skilift im Rohr.

Für Pilatus-Nachwuchs ist gesorgt
Der Jüngste in der Runde heisst Leon Blum, den auch die Fliegerei nach Stans gelockt hat. Der Gstaader wünscht, Militär- oder Linienpilot zu werden. Zurzeit wohnt er im Lehrlingshaus von Pilatus mit all den anderen Deutschschweizern und Tessinern, die nach der Arbeit nicht nach Hause können. Warum unter ihnen keine Romands und keine Mädchen zu finden sind, weiss Leon nicht. Doch, es gebe ein Mädchen, im dritten Lehrjahr. Es wohne aber nicht im Internat. Am Wochenende fahre er immer nach Hause, mit dem Zug nach Luzern, von dort nach Bern, Spiez, Zweisimmen und Gstaad. Die vier Stunden Fahrt könne er gut zum Lernen und zum Aufgabenmachen brauchen.

Vier- und Zehnjährige fliegen zum ersten Mal
Ueli Matti, der Sohn des ehemaligen Gemeindeschreibers Matti, erinnert sich gut an seinen ersten Flug in einem Uraltpilatus. Als Zehnjähriger durfte er Fallschirmspringer begleiten, weil niemand sonst von den Gemeindebehörden mitfliegen wollte. Sascha Brand flog zum ersten Mal als Vierjähriger. Er kommt aus Lauenen und hatte schon in der Kindheit durch Vater und Onkel Kontakt mit der Fliegerei – beide waren Piloten. Der Vater flog für Ueli Rösti, der Onkel Fredi Brand war Privatpilot und Sascha erinnert sich an dessen tragischen Tod. Der Familienname Brand lässt aufhorchen: Jérôme d̓Hooghes Mutter hiess Brand und wuchs in Lauenen auf. Sascha nickt: Ja, er sei mit Jérôme verwandt. Die genaue Auflistung der Verwandtschaft überstieg aber leider die Aufnahmefähigkeit des Journalisten.

Der Siebenjährige sitzt im Helikopter
1980 verfolgte der siebenjährige Matthias Schopfer auf einer Alp ob Rougemont, wie ein Helikopter Material zum Luftseilbahnbau transportierte. Begeistert half er mit und durfte zur Belohnung mitfliegen. Der kurze Flug genügte, um Matthias mit dem Fliegervirus anzustecken. Matthias sagt: «Früh übt sich, wer ein Pilatus-Mitarbeiter werden will. Pilatus ist für die Aviatik was Victorinox für die Sackmesser ist – weltbekannte Schweizer Wertarbeit.» Es ist wohl diese Faszination, diese Begeisterung für die Technik, die Mechanik, welche die fünf Saaner nach Stans zu den Pilatuswerken ziehen liess.

Was ist der Unterschied zwischen einem Aebi und einem Pilatus?
Pilatus-CEO Markus Bucher, zu dem die Saaner einen guten Draht haben, hat seine Karriere als Landmaschinenmechaniker begonnen und schuf sich damit wichtige Voraussetzungen: Landmaschinen fliegen zwar nicht, bieten aber ein mechanisches Spektrum, das auch Flugzeuge aufweisen – Mechanik, Hydraulik, Elektrik, Motoren, Montage und Demontage. Die Firma beeindruckt mit beachtlichen Zahlen: 2000 Mitarbeitende mit geringer Fluktuation, davon 140 Lernende in 13 Berufen. Pilatus liefert für die Flying Doctors Flugzeuge nach Australien und auch solche für Flüge bei minus 40 Grad in Kanadas Norden. Die Maschinen sind polyvalent. Sie landen auf Schotterpisten oder können durch ein grosses Tor eine Europalette laden.

Wer gerne ein solches Flugzeug näher sehen möchte, der solle im Winter zum Flugplatz Saanen gehen, dort würden geschätzte 80 Prozent aller Flüge von Pilatus-Maschinen geflogen, sind sich die fünf Saaner einig.

Auf nach Stans!
Stans liegt zwar für Saanerinnen und Saaner nicht gerade vor der Haustür, ein Ausflug dorthin lohnt sich aber immer, davon ist Christian Hählen überzeugt. Die Werksbesichtigungen sind sehr begehrt und nur auf Voranmeldung im Internet möglich: «Vor dem Herbst 2021 werde ich wohl keine Führungen machen können. Ab dann hoffe ich, dass wieder Besuche möglich werden. Es gibt viel zu sehen, kostet nichts und Saanerinnen und Saaner können sich mich als Führer wünschen. Ich freue mich schon jetzt, Leute aus meiner alten Heimat auf Saanendeutsch begrüssen zu dürfen.»

THOMAS RAAFLAUB


SASCHA BRAND

Jahrgang: 1988
Aufgewachsen in: Lauenen
Pilatus: Lizenzierter Flugzeugmechaniker seit 2012, in der
Produktion, Ziel: Flugzeugwartung, Auslandeinsatz
Familie: ledig
Sonstiges: Motorradmechanikerlehre in Brig, Werkstattchef in Uri


LEON BLUM

Geboren: 2005
Aufgewachsen in: Gstaad
Pilatus: Polymechaniker-Lernender in der Lehrlingswerkstatt
Sonstiges: seit Sommer 2020 in Stans, Fliegervirus durch
Segel- und Modellflug


CHRISTIAN HÄHLEN

Geboren: 2. April 1950
Aufgewachsen in: Lauenen, hinter dem See auf dem Bühl
Pilatus: Materialprüfung
Familie: verheiratet, zwei erwachsene Kinder, Grossvater
Sonstiges: Segelfluggruppe Nidwalden, soziales Umfeld in Stans


UELI MATTI

Jahrgang: 1968
Aufgewachsen in: Saanen
Pilatus: Flugzeugelektriker, Experimentalabteilung auf PC-24
Familie: verheiratet mit Ruth, drei Töchter: 17, 15, 12
Sonstiges: Lehre als Radio-, TV-Elektriker bei Radio TV Schmid wie Matthias, seit 2000 bei Pilatus, vorher zwölf Jahre Bern-Belpmoos, Skifahrer, aktiv als JO-Leiter und Präsident vom Skiclub Buochs


MATTHIAS SCHOPFER

Jahrgang: 1975
Aufgewachsen in: Lauenen
Pilatus: Programm-Engineer, zuständig für PC-24 und PC-12 Konfiguration
(Optionen) seit 1997
Familie: verheiratet mit Lauenerin, drei Kinder
Sonstiges: Lehre wie Ueli, Cousin von Saschas Vater, Verbindung ins Saanenland durch Familie und die Segelfluggruppe Zweisimmen,
Hobbys: Familie, Motorflug, Musik


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