Im Saanenland aufgewachsen und jetzt …

  26.02.2021 Serie

Das Saanenland war und ist geprägt von Zu- und Wegzügen. Die Leserinnen und Leser des «Anzeigers von Saanen» sind nicht nur im Saanenland zu finden, sondern in der Schweiz und im Ausland – ja, in der ganzen Welt. Diese «Auswanderer» will «Im Saanenland aufgewachsen und jetzt …» vorstellen.

Salome Raaflaub ist in den Gruben bei Gstaad aufgewachsen, auf dem Neueret-Plateau mit dem Panorama, das vom Gifer zum Wasserngrat, über das Wildhorn zur Wispile, vom Oldenhorn, den Staldenflühen, dem Eggli, den Dorfflühen bis ins Pays-dʼEnhaut sowie zum Relleri- und Hugeligrat reicht, mit der Sicherheit der Hornfluh im Rücken. Dort ging sie zur Schule bis in die sechste Klasse, in das kleine Schulhaus mit der familiären Atmosphäre. Eine Schulzeit mit ausschliesslich guten Erinnerungen. Zum Beispiel an das selber gebastelte «Gstältli», das den Drehbaum zu einem Karussell werden liess und dann aus Angst vor Unfällen verboten wurde. Sie erinnert sich auch an die schönen Schulreisen und den Schulschatz, dessen Name aber geheim bleibt. Hinauf konnte der Schulweg bis eine halbe Stunde dauern, hinab ging es im Winter mit dem Schlitten und im Sommer mit dem Velo schneller.

Das Gruben-Heimet bedeutet Salome viel: Zuerst einmal grosse Freiheit, hinaus gehen und draussen spielen können. Sie arbeitete gerne, beim Heuen und ein- bis zweimal pro Woche im Stall, beim Melken mit der Maschine, als Hilfe für Papa Ueli. Ab und zu genoss sie eine Übernachtung in der Vorsass ohne die üblichen technischen Errungenschaften wie Strom oder Wasserspülung, im Tschorren oder im Söffis, und ging dann von dort in die Schule. Sie sagt: «Ich war gerne eine Bauerntochter. Das Heimet und die landwirtschaftlichen Arbeiten fehlen mir, obwohl ich in Ferien ab und zu helfen kann.»

Physiotherapie – eine Kombination von Theorie und Praxis
Das Ebnitschulhaus besuchte Salome ab der siebten Klasse als Sekundarschülerin und ab der neunten als Gymnasiastin. «Ich war in der Berufswahl unsicher und zögerte den Entschluss hinaus», sagt sie. Die neunzehnjährige Maturandin wusste aber, dass sie kein Studium beginnen wird: «Lernen und Theorie gefielen mir immer, gerade im Gymnasium lernte ich gerne, aber die praktischen Arbeiten gefielen mir auch.» Sie machte Schnupperlehren, auch als Pflegefachfrau, und lernte dabei die Physiotherapie kennen, was ihren Bedürfnissen sehr nahe kam. Mit Menschen zusammenzuarbeiten, körperlich, sportlich – das entsprach ihrem Naturell.

Sportlich in Beruf und Freizeit
Zur Zulassung der Ausbildung musste eine Prüfung bestanden werden. Nur ein Achtel der Angemeldeten wird aufgenommen. Salome bestand die theoretische Prüfung und konnte anschliessend bei der praktischen ihre Fähigkeiten im logischen und vernetzten Denken ihre rasche Auffassungsgabe und ihre Intelligenz beweisen. An verschiedenen Posten wurden anschliessend ihr Umgang mit Menschen getestet, ihre Feinmotorik, die koordinativen Fähigkeiten, Persönlichkeit und Charakter. «Sport ist wichtig für mich als Ausgleich. Ich bin gerne körperlich aktiv, fahre Velo, Ski und Snowboard, mache Ausdruckstanz mit Kolleginnen zu eigenen Choreografien, dazu Hip-Hop und Jazztanz, spiele Beachvolleyball und wandere gerne.»

Saanerinnen-Wohngemeinschaften in Bern
Die Ausbildung bedeutete, dass Salome das Saanenland verlassen musste. «Das war hart und schwierig. Alles war neu und ungewiss in der Stadt, neue Leute. Thun wäre überschaubarer gewesen, Bern war zu gross, überforderte mich, dazu der Lärm, und ich hatte zu Beginn immer Angst, von einem Tram überfahren zu werden. Bei der Schlummermutter in Bümpliz hatte ich viel Zeit für mich und habe viel gelernt. Ab dem zweiten Studienjahr lebte ich in einer Wohngemeinschaft.» Zuerst kostete Salome den Umzug in die WG Überwindung. Nun ist sie sehr froh über diese Entscheidung, denn die fünf Frauen profitieren voneinander, zusammen im Wohnzimmer in der gemütlichen Stimmung, beim Lesen oder beim Arbeiten. Sie kommen alle aus dem Saanenland, die WG-Bewohnerinnen in Niederwangen: aus Gstaad, Lauenen, dem Turbach und aus dem Grund. Übrigens: Salomes Schwester Damaris als Studentin der Pädagogischen Hochschule NMS Bern wohnt in einer WG mit sechs Saanerinnen und Saanern in Stettlen bei Bern.

Der Traum: zurück in die Heimat
Salome steigt schon bald ins Erwerbsleben ein. Am liebsten würde sie dies in Thun machen, wo sie bis im Sommer 2021 ein Praktikum macht: «Mir gefällt der See und der Ort ist gefühlsmässig näher am Saanenland als Bern, gemütlicher und weniger gestresst als die Bundesstadt. Dort könnte ich in einem grösseren Team arbeiten, Erfahrungen sammeln und mich weiterbilden. Mein grösster Traum ist aber eine Stelle im Saanenland oder im Obersimmental in einer Gemeinschaftspraxis oder selbstständig.»

Die begeisterte Christin
Das Porträt von Salome wäre unvollständig, wenn dabei ihr Glaube ausgeblendet würde, ein wichtiger Teil von ihr. Ein Glaube, der ihr im Elternhaus vorgelebt wurde, wo zusammen gebetet und Gastfreundschaft praktiziert wurde, die Liebe zu allen Menschen, unabhängig von Herkunft und Hintergrund. «Ich habe eine persönliche Beziehung zu Jesus. Er ist mein bester Freund, ich teile ihm alles mit und er spricht zu mir. Bei Fragen und Problemen bringt er mir Ruhe und Gelassenheit.» An diese Ausführungen schliesst sich ein längeres, philosophisch-religiöses Gespräch über Gott und die Welt an, das hier nicht in allen Details wiedergegeben werden soll, das aber so zusammengefasst werden kann: Salome ist eine begeisterte Christin. Begeistert vom Heiligen Geist, der beim Bild des dreieinigen Gottes immer ein wenig im Hintergrund steht.

Der Lieferwagen wird zum Wohnmobil
Salomes Freund Renato ist auch in einer Freikirche: «Für mich ist keine Kirche besser als eine andere. Zu welcher Kirche jemand gehört, ist nicht wichtig. Ich bin im EGW gross geworden, habe dort viele Freunde und Bekannte, fühle mich in diesem Umfeld wohl.» Renato ist eine Bekanntschaft aus den Ferien in Spanien. Seit sechs Jahren sind sie zusammen und planen, in den kommenden Jahren eine Familie zu gründen. Doch vorher wollen die beiden heiraten und die Welt entdecken, in einem Renault Master, den sie vom Lieferwagen selber zum Wohnmobil ausbauen: der Schreiner und die Physiotherapeutin.

Der Schreiber dieser Zeilen würde sich über eine Postkarte von einer der zukünftigen Reisen sehr freuen.

THOMAS RAAFLAUB
www.muhof.ch


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