Der Coiffeur-Jass

  24.11.2020 Leserbeitrag

Der Coiffeur-Jass zählt in der Schweiz zu den besonders beliebten Jass arten. Er wird praktisch überall ausser in Coiffeursalons gespielt. Seinen Ursprung hat er in Frankreich. Dort heisst der Jass: «Quoi faire?» – auf Deutsch: «Was machen?» Und aus «Quoi faire?» wurde der Einfachheit halber in der Deutschschweiz «Coiffeur». Doch die Spielregeln sind auf Französisch und auf Deutsch gleich. Je zwei Spieler sitzen sich kreuzweise gegenüber und bilden wie beim Schieber ein Team. Aber es wird jeweils nicht direkt zum Partner geschoben, sondern reihum. Auch das Spiel wird der Reihe nach in der Spielrichtung gegeben. Der Spieler rechts vom Spielgeber kann jeweils eine Trumpfvariante wählen oder eben schieben. Wenn er schiebt, ist der Spieler rechts an der Reihe. Wenn kein Spieler eine Möglichkeit sieht, einen Erfolg versprechenden Trumpf zu machen, ist der erste Spieler «im Zwang» (oder im Jasslatein «im Fass») und muss schliesslich eine Variante wählen, die noch offen steht.

Es gibt acht oder zehn Möglichkeiten, Trumpf zu machen, inklusive zwei Jokermöglichkeiten. Jede Variante kann von jedem Team nur einmal gewählt werden und muss von jedem Team einmal gespielt werden. Pro Partie werden also 16 oder 20 Spiele gespielt. Die einfachste Variante zählt den einfachen Kartenwert, und die höchste Variante den acht- oder zehnfachen Kartenwert. Aus diesem Grund ist Frage, die dem Spiel letztlich den Namen gegeben hat, berechtigt: «Was machen?» «Soll man schieben oder auf bessere Zeiten warten?» Denn beim Coiffeur-Jass besteht immer eine doppelte Gefahr. Wenn man mit mittelmässigen Karten zu früh einen Trumpf wählt, riskiert man, nur ganz wenige Punkte zu machen. Und wenn man zu wählerisch ist und nichts wagt, ist das Risiko gross, dass man am Schluss mit schlechten Karten schliesslich noch eine sehr wertvolle Variante spielen muss und darum kaum Punkte macht.

Wie immer im Leben geht es auch beim Coiffeur-Jass darum, den richtigen Augenblick nicht zu verpassen. Es gibt ein Zu-früh, sodass man im Nachhinein sagen kann: »Ich hätte auf bessere Zeiten warten sollen, aber jetzt kann ich nichts mehr ändern.» Und es gibt ein Zu-spät, sodass man im Nachhinein sagen kann: «Ich hätte vorher etwas wagen müssen, aber jetzt ist es zu spät.» So oder so, wenn man zu viel wagt oder zu ängstlich ist, verpasst man eine Chance, die das generische Team gerne ausnutzt. Letztlich geht es beim Coiffeur-Jass darum, mit den Karten, die man bekommen hat, die bestmögliche und die am höchsten bewertete Variante zu spielen.

Aber auch der Coiffeur-Jass ist wie praktisch alle Jassarten ein Glücksspiel. Wenn man schlechte Karten bekommt, ist es sehr schwierig und meistens auch unmöglich, den richtigen Augenblick zu finden. Und wenn man gute Karten hat, aber keine Chance bekommt zu zeigen, was man hat und kann, kommt man auch nicht auf einen «grünen Zweig».

Beim Coiffeur-Jass kann es auch passieren, dass man richtig auf der Strecke bleibt. Denn wenn dem gegnerischen Team bei den wertvollen Varianten Matsch um Matsch gelingt, gerät man selber dermassen in Rückstand, dass eine Aufholjagd total chancenlos ist. Denn allein die Differenz zwischen der einfachen und der zehnfachen Variante beträgt 1413 Punkte. Beim Coiffeur-Jass kann man also auf spielerische Art und Weise üben, sich an dem zu freuen, was man hat, und nicht zu resignieren, wenn der «Zug schon abgefahren ist».

ROBERT SCHNEITER


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