Das Fragen – der Spielverrat
28.07.2020 Tradition«Fragen macht klug.» Lange bevor die Entwicklungspsychologen die Wichtigkeit des Fragens bestätigt haben, hatten bereits uralte Sprichwörter darauf hingewiesen, dass diejenigen, die viel fragen, auch viel lernen. Kinder, die viel fragen, sind darum auf dem besten Weg, gute Schüler zu werden und sich viel Wissen anzueignen. Erwachsene dagegen haben manchmal Hemmungen, Fragen zu stellen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Beim Jassen sind diese Hemmungen sicher richtig. Aber schon 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung hat Konfuzius geschrieben: «Wer fragt, ist ein Narr für eine Minute. Wer nicht fragt, ist ein Narr sein Leben lang.» Und wer zu vieles fraglos hinnimmt und dafür die Faust im Sack macht, ist wirklich ein Narr.
Die drei wichtigsten Fragen im Leben heissen: 1. Was ist die wichtigste Zeit? 2. Wer ist der wichtigste Mensch? 3. Was ist das wichtigste Werk? Beim Jassen heissen die drei wichtigsten Fragen aber: 1. Was darf man fragen? 2. Was darf man nicht fragen? Und 3. Welche Fragen darf man beantworten? Oder kurz gesagt: «Fragen oder Nichtfragen – das ist beim Jassen die Frage» (nach Christa Moll). Die Antwort des Jassreglements lautet: Fragen, die während eines Spiels gestellt werden, dürfen grundsätzlich nicht beantwortet werden. Und um die Mitspielenden nicht in Versuchung zu bringen, sollte man die folgenden Fragen nie stellen: Wie viele Trümpfe sind schon gelaufen? Wem gehört dieser Stich? Wer hat diese Karte gegeben? Warum hast du diese Karte gegeben? Denn die Antworten auf diese Fragen können nämlich schon als Spielverrat bewertet werden. Auch die Frage: «Wie geht es eigentlich eurer Tochter?» sollte man während einer Spielrunde nicht stellen und auch nicht beantworten. Denn solche und ähnliche Fragen können bewusst oder unbewusst vom Spiel ablenken und die Konzentration schwächen. Zwischen den Spielrunden darf hingegen alles gefragt werden. Jassen ist ja schliesslich keine todernste Sache. Eine Frage, die nach einer Spielrunde oft gestellt wird, lautet zum Beispiel: «Wer muss das Spiel geben?» Und wer so fragt, ist in den allermeisten Fällen auch gleich selber an der Reihe, das Spiel zu geben.
Neben den Antworten, die das Spiel verraten könnten, gibt es auch noch verschiedene andere Handlungen, die man unterlassen sollte, um nicht als Spielverräter verdächtigt zu werden. Jedes absichtslose Zeichengeben wie ein Griffwechsel von einer Karte zur anderen oder das Klopfen beim Ausspielen einer Karte ist zum Beispiel bei Jassturnieren nicht gestattet. Auch Bemerkungen wie «Bock» für eine unschlagbare Karte oder Kommentare über Punkte, die ein Gegner während eines Spiels bereits erzielt hat, sind eigentlich nicht erlaubt. Und über die Taktik, die man einschlagen will, muss man sowieso vor dem Spielgeben miteinander reden. Wenn ein Team während des Spielens letztlich doch zu viel verraten hat, gibt es für das andere Team zwei Möglichkeiten zu reagieren. Man kann verlangen, dass das Spiel annulliert und wiederholt wird, oder man kann die «gelbe Karte» zeigen und weiterspielen.
Unter den vielen Jassvarianten gibt es jedoch eine Variante, bei der man sein eigenes Spiel «verraten» darf, ohne zum «Spielverräter» zu werden: «Sidi Barrani». Der «Sidi Barrani» wird darum etwa als der hitzigste Jass bezeichnet. Aus diesem Grund sollten ihn nur befreundete und spielstarke Menschen miteinander spielen. Der «Sidi Barrani» ist eine Mischung zwischen Bieter und Schieber. Wie beim Schieber bilden je zwei Mitspielende ein Team. Aber im Gegensatz zum Schieber wird nicht zum Partner geschoben, sondern der Reihe nach in der Spielrichtung zu jedem Spieler. Die Spielanleitung und die Spielregeln füllen im Schweizer Jassführer fünf Seiten und das genaue Studium dieser hohen Schule des Jassens erfordert Zeit und Geduld. Darum sei an dieser Stelle nur so viel geschrieben: Mit Bieten und Steigern «verrät» man einander die eigenen Karten und signalisiert so vor allem dem Partner oder der Partnerin, wo man mithelfen könnte oder selber stark ist. Der Spieler mit dem höchsten Gebot übernimmt dann schliesslich zusammen mit seiner Partnerin das Spiel und spielt aus. Beim «Sidi Barrani» wird aber nur vor dem Ausspielen der ersten Karte viel geredet und sobald die erste Karte offen auf dem Tisch liegt, gilt es ernst. Wie bei all den anderen Jassvarianten muss man sich dann gut überlegen, was man noch sagen, fragen und beantworten darf.
ROBERT SCHNEITER