«Eine Zeit lang war ich im Saanenland ein rotes Tuch»

  30.06.2020 Destination, Gstaad

Roland Zegg hat als Berater die Richtung der Bergbahnsanierung 2015 massgeblich vorgegeben. Damals waren seine Vorschläge und seine Person höchst umstritten. Inzwischen ist die Sanierung vollzogen, die Bergbahnen stehen auf gesunden Beinen und Zegg geht. Ein Einblick in turbulente Zeiten und ihr Resultat.

BLANCA BURRI

Herr Zegg, zum Aufwärmen gibt es ein paar ungewöhnliche Fragen: Muggestutz oder Saani?
Die Bilderbuch- und Themenwegfigur Muggestutz vom Hasliberg ist mir bekannt. aber was ist Saani?

Eine Geiss, die Familien schon bald auf das kindergerechte Angebot im Saanenland aufmerksam macht.
Ich weiss, was Sie hören möchten (lacht). Ich sage aber Muggestutz, weil die Geschichte und die Erlebniswege sehr gut gemacht sind und dadurch als Vorbild für andere Regionen dienen können.

Capuns oder Steak vom reinen Simmentaler Fleckvieh?
Ich finde die Simmentaler sehr schön. Mir tut die arme Kuh leid, wenn man sie zum Essen schlachten muss.

Nun aber eine ernsthafte Frage zum Thema Bergbahnsanierung. Sie und ihr Team haben das Sanierungskonzept ausgearbeitet und Ihretwegen ist sie 2016 tatsächlich gelungen. Macht Sie das stolz?
Ja. Das ist für mich eine grosse Befriedigung und zwar, weil es ein sehr schwieriges und komplexes Projekt war. Darauf dürfen alle Beteiligten stolz sein. Der Sanierungsplan wurde bis heute von der Geschäftsleitung und dem Verwaltungsrat im Wortlaut umgesetzt. Wie die Bahn heute daherkommt, der finanzielle Erfolg und die positive Wahrnehmung in der Bevölkerung zeigen, was man machen kann, wenn ein stimmiges Konzept konsequent umgesetzt wird. In meiner 33-jährigen Laufbahn ist die Sanierung in Gstaad das Meisterstück.

Wie konnte es gelingen?
Viele Leute haben mitgearbeitet. Viele mussten «Ja» sagen. Gläubiger haben Geld verloren, so auch die Gemeinden und viele Investoren haben grosse Beträge gesprochen. Aber alles, was wir versprochen haben, ist nun eingetroffen, weshalb ich mich in der Gegend mit bestem Gewissen überall zeigen kann.

Was waren die drei zentralen Punkte in der Sanierung?
Zuerst die neuen Privataktionäre: Ich war immer der Überzeugung, dass wir mit einer stimmigen Lösung gute Privataktionäre gewinnen können. Zweitens waren die Bereitschaft und die Solidarität der Gemeinden enorm. Allen voran hat die Gemeinde Saanen das Projekt unterstützt und uns immer den Rücken gestärkt. Drittens ist es uns gelungen, 400 Landeigentümer zu überzeugen, freiwillig während 5 Jahren auf 40 Prozent der Landentschädigungen zu verzichten. Dass der Solidaritätsgedanke gespielt hat und sie mitgeholfen haben, war der Schlüssel des Erfolgs, der gelingen musste, damit wir alle anderen Partner auch ins Boot holen konnten. Und ich hätte da noch einen vierten Punkt …

Welcher Punkt war so wichtig, dass Sie ihn noch erwähnen müssen?
Ich war von Anfang an der Überzeugung, dass wir die stille Sanierung der richterlichen vorziehen müssen. Sie basiert auf dem Verhandlungsweg und kommt ohne Nachlassstundung und Konkurs aus. Obwohl dieser Punkt höchst umstritten war, ist er uns gelungen. Bei einer richterlichen Sanierung wäre alles zerschlagen worden, dann gäbe es die Bergbahnunternehmung in dieser Form heute wohl nicht mehr.

Sie sprechen von einer «stillen Sanierung»*, die aber ziemlich laut ausfiel. Es wurde viel diskutiert, vor allem auch über Ihre Person.
Ich bin es in meiner Funktion als Bergbahnexperte und Sanierer gewohnt, dass ich angegriffen werde. Ich bin oft der Überbringer von schlechten Botschaften sowie von schmerzlichen Erkenntnissen und Fakten. Ich habe mich davor nicht gescheut. Überall, wo ich arbeite, erhalte ich solche Anfeindungen, und zwar weil es schmerzt, wenn man aufzeigt, wie drastisch und katastrophal die Situation ist. Eine Zeit lang war ich deshalb im Saanenland ein rotes Tuch.

Und doch wurden Sie nicht über die Saanenmöser geschickt. Weshalb?
Wir haben eine recht kreative Lösung gefunden. Mani Raaflaub war und ist für die einheimische Bevölkerung und insbesondere für die Landwirte eine absolute Vertrauensperson. Er stand als Verwaltungsratspräsident an der Front. Ich hatte eher die Rolle des bösen Auswärtigen im Hintergrund, der die harten betriebswirtschaftlichen Fakten lieferte. Die Verhandlungen haben wir immer gemeinsam geführt. Dieses Tandem mit der Vertrauensperson aus der Region und dem Sanierungsfachmann im Hintergrund hat gut zusammengespielt. Ich habe von Anfang an daran geglaubt, dass das funktioniert. Als die Landeigentümer an Bord waren und eine Lösung für eine neue Direktion auf dem Tisch lag, kippte auch die Stimmung in der Bevölkerung ins Positive und wir konnten die Mosaikstückchen zusammensetzen. Bis dahin war der Tonfall sehr harsch und schlimm gewesen.

Sind Sie an Ihre Grenzen gestossen?
In der Tat. Es hat sehr viel Kraft und Energie gebraucht. Meine Ferien an der Nordsee wurden zu einem Arbeitslager. Während der Sanierung habe ich 3800 Mails beantwortet. Für mich war es in der ganzen Karriere das prägendste Projekt. So umstritten, so schwierig und knorrig war es.

Was läuft Ihnen heute noch nach?
Die Gemeindeversammlung im Oktober 2014 in der Tennishalle, als darüber abgestimmt wurde, ob ich als fremder «Fötzel» überhaupt sprechen dürfe. Die Menschen stellten meine Person total infrage, kannten mich nicht und wussten nicht, dass ich im Berggebiet aufgewachsen bin und zum Beispiel Skirennfahrer war. 125 Personen haben dagegen gestimmt, dass ich das Sanierungskonzept überhaupt vorstelle. Das war ein schmerzlicher Moment.

Wie konnten Sie das verarbeiten?
Gottvertrauen und die Partnerschaft haben mir geholfen. Die unzähligen schlaflosen Nächte, die Telefonanrufe am Abend, am Wochenende, in den Ferien haben die Beziehung mit meiner Frau aber auch auf die Probe gestellt. Die positive Stimmung nach der Abstimmung beflügelte uns danach alle, wieder Vollgas zu geben.

Was verbindet Sie heute noch mit Emanuel Raaflaub?
Eine tiefe Freundschaft, die wir beim regelmässigen Skifahren pflegen. Wir waren – zusammen mit den anderen Kollegen im Verwaltungsrat – auf Gedeih und Verderben miteinander ins Sanierungsboot gestiegen.

Ich kann mich erinnern, dass der gesamte Verwaltungsrat zurückgetreten war.
Genau, das war im November 2014. Damals sagte Mani Raaflaub: «Ich lasse mich dafür brauchen.» Mit dieser Einstellung hat er die Sanierung durchgezogen. Er hat es als Dienst an seiner Gemeinde/Region gemacht. Wir hatten gegenseitiges Vertrauen. Wir sind zusammen durch dick und dünn gegangen. Ohne ihn wäre die Sanierung nicht gelungen. Er hat eine integrierende Art, zu kommunizieren. Wenn ich auf die Verhandlungspartner Druck machen wollte, weil uns die Zeit davonlief, sagte er: «Das muess zitige.» Obwohl dadurch der weitere Verlauf blockiert war und wir völlig in der Schwebe standen, liess er den Leuten Zeit zum Überlegen. Den Zeitdruck hatten wir nicht nur wegen den schiefen Finanzen, sondern auch wegen der Saanerslochbahn, deren Konzession auslief und die der Lebensnerv der BDG ist. Mani hatte ein sehr gutes Gespür für die Menschen und dadurch sehr viel erreicht.

Als die Sanierung unter Dach und Fach war, haben Sie sich ins zweite Glied zurückgezogen. War das ein Segen oder wären Sie gerne mehr im Rampenlicht gestanden?
Matthias In-Albon war unter allen Bewerbungen als Geschäftsleiter unser Wunschkandidat. Wir haben gespürt, dass der Verwaltungsratspräsident Heinz Brand und er ein gutes Team bilden werden. Ich selbst habe im Verwaltungsrat meine Aufgaben als Bahnexperte wahrgenommen und ich bin es gewohnt, dass der Sanierer im Hintergrund bleibt. Die Einheimischen geben dem Betrieb das Gesicht. So auch in Gstaad. Man darf nicht vergessen, dass es meist nur einen Sündenbock gibt. Der Erfolg aber hat immer viele Väter, das ist normal.

Sie haben gesagt, die Sanierungspläne wa- ren ihre Bibel. Was wurde bei aller Plantreue noch nicht umgesetzt?
Grundsätzlich wird die Umsetzung diesen Sommer abgeschlossen. Was fehlt, ist nur sehr wenig: ein Teil der Beschneiung steht noch aus. Ebenfalls in der finalen Abschlussphase befindet sich die Bereinigung der neuen Verträge für die Landeigentümer. Danach ist tatsächlich alles umgesetzt.

Was wurde seit der Sanierung umgesetzt?
Der Neubau der Saanerslochbahn, der Neubau der Egglibahn und des Egglirestaurants, das Facelifting der Restaurants, der massive Ausbau der technischen Beschneiung, die Homogenisierung der Landeigentümerentschädigung, die Leistungsverträge der Gemeinden, die Kapitalaufstockung, die massive interne Umstrukturierung/ Verschlankung, der Verkauf der Bergund Talstation Rellerli, die neuen Büroräume, der Ausbau der Erlebniswelt sowie massive Kostenreduktionen. Es ist unglaublich, aber all das wurde in den vergangenen viereinhalb Jahren umgesetzt. Ich bin sehr dankbar, dass alles so konsequent realisiert wurde. Das ist nicht immer so. Oft werden die guten Lösungen verwässert und dann bleibt der Erfolg aus.

Wie wird die Sanierung im Alpenraum wahrgenommen?
Im Alpenraum sieht man zwar, was Gstaad erreicht hat, es ist nämlich zurück auf der Landkarte der Skidestinationen. Aber es wird nicht gross darüber diskutiert. Bei den Berner Bergbahnen aber wird Gstaad mit grossem Respekt angeschaut, weil die Marke gestärkt wurde. Die Destination ist mit den grossen Playern im Top-4- Abonnement und hat demzufolge eine starke Position.

Hat die Sanierung von Gstaad Ihrer Firma Grischconsulta mehr Aufträge beschert?
Nein, das kann ich so nicht sagen. Da ich bei der BDG bis August als Wächter der Sanierung im Verwaltungsrat sitze, konnte ich bei den umliegenden Bergbahnen wegen Interessenskonflikten keine Aufträge mehr annehmen – es hat schöne Anfragen gegeben.

Hat sich Ihr Engagement bei den Bergbahnen Meiringen Hasliberg nie mit dem Auftrag in Gstaad gebissen?
Die Sanierung im Haslital war 2012/2013 abgeschlossen, der Auftrag in Gstaad kam erst später. Zwar bin ich mit dem Hauptaktionär noch immer freundschaftlich verbunden, aber ein Mandat habe ich dort nicht mehr.

Die Klimaerwärmung macht auch vor dem Saanenland nicht halt. Was heisst das für die Bergbahn?
Die Bergbahnen sorgen sich um die Schneesicherheit. Wir hatten nämlich den wärmsten Winter seit Messbeginn. Für das Gstaader Skigebiet mit seiner Höhenlage zwischen 1000 und 2000 Metern ist das eine grosse Herausforderung.

Wie kann die BDG aktiv etwas gegen die Klimaerwärmung tun?
Die BDG betreibt bereits ein Energieund ein Ressourcenmanagement. Widersprüchlich scheint, dass sie mit der technischen Beschneiung für Schneesicherheit sorgen muss, weil die Wintersaison nach wie vor die stärkste Saison ist. Weil die ganze Region volkswirtschaftlich von den Bergbahnen abhängt, müssen wir die Wintersaison solange wie möglich aufrechterhalten. Die BDG muss auch alternative Angebotsformen wie Winterwandern auf den Bergen und zu den Aussichtspunkten sowie vor allem auch neue Angebote für den Sommertourismus bereitstellen und mittelfristig neue Geschäftsfelder entwickeln.

Wo sehen Sie weitere Chancen?
Wir müssen viel mehr für Hundebesitzer und ihre Tiere machen. Die Chaletund Hotelgäste haben oft Hunde, die in vielen Hotels und Restaurants erlaubt sind, was in vielen Destinationen nicht so ist. Man könnte spezielle Hundeloipen auf dem Berg machen …

Welcher Spezialist wird Sie im Verwaltungsrat ersetzen?
Als ich vor sechs Jahren im Verwaltungsrat Einsitz genommen habe, wurde das vereinzelt nicht verstanden. Weshalb braucht es einen fremden «Fötzel» in diesem Gremium, war eine Frage, die ich öftrs gehört habe. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es ohne eine Aussenansicht und einen Experten nicht geht. Inzwischen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass eine Fachkompetenz Tourismus und/oder Bergbahnen im Verwaltungsrat sein muss. Das wird auch mit meiner Nachfolge so sein.

Sie übergeben Ihre Firma Grischconsulta in jüngere Hände und treten aus dem Verwaltungsrat der BDG aus. Und jetzt?
Nach 33 Jahren in der Experten- und Beratungstätigkeit ziehe ich mich langsam und konsequent zurück. Ich freue mich auf die dritte Lebensphase, in der ich mehr Zeit für meine Frau und Familie und für meine Hobbies, für meinen Hund, die Natur oder die Oldtimer-Traktoren haben werde. Die selbstbestimmte Zeit wird mir guttun. Ich habe während der Selbständigkeit nämlich gelernt, was «selbständig» heisst: selbst und ständig.

*Die stille Sanierung ist ein landläufiger Ausdruck für aussengerichtliche Sanierung.


ZUR PERSON

Der 64-jährige Roland Zegg wohnt in Rüti (ZH). Er ist mit neun Geschwistern in Samnaun in einer Unternehmensfamilie aufgewachsen. Er ist Vater von drei erwachsenen Kindern. Das Studium als Maschineningenieur absolvierte er an der ETH in Zürich. Danach folgte eine Doktorarbeit über die Schweizer Saisonhotellerie. 1987 gründete er die Firma Grischconsulta, die sich auf Beratungen im Bereich Tourismus im deutschsprachigen Alpenraum spezialisiert hat. Grosse Projekte waren die Fusion der Zermatt Bergbahnen AG, Engadiner Bergbahnen, Davos Klosters Bergbahnen sowie Skiregion Adelboden-Lenk und die Sanierung der Bergbahnen Meiringen-Hasliberg AG. Bereits 1998/1999 wurde er von der Gemeinde unter dem damaligen Gemeindepräsidenten Leonz Blunschi erstmals beauftragt, mit einer grossen Arbeitsgruppe ein Regierungsprogramm für die Bergbahnen auszuarbeiten. Es wurde aber nicht umgesetzt. 


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