«Machen Sie lieber Farbige!»
08.03.2019 Kunst, AusstellungDie Grande Dame des traditionellen Scherenschnitts des Payd’Enhaut, Ehrenbürgerin von Châteaud’Oex, Gründerin einer Hilfsorganisation in Afrika, feiert mit einer Jubiläumsausstellung in der Galerie Paltenghi 50 Jahre Papierschnittkunst. Der «Anzeiger von Saanen» hat sich mit Anne Rosat über ihr Werk und ihr bewegtes Leben unterhalten.
MARTIN GURTNER-DUPERREX
«Machen Sie lieber Farbige, in Schwarz-Weiss bin ich eh besser!», sagte die Lauener Scherenschnitt-Ikone Christian Schwizgebel Anfang der Siebzigerjahre zu ihr. Diesen denkwürdigen, aber wohlwollenden Ratschlag hat sich Anne Rosat zu Herzen genommen – und wie! Ein Feuerwerk von Farben charakterisiert ihr fünfzigjähriges Kunstschaffen – ein Potpourri von filigranen Blumensträussen, barocken Kränzen und Herzen, Szenen aus dem Dorf- und Älplerleben. In New York präsentiert sie 1974 mit Christian Schwizgebel und David Regez ihre Werke. Es folgen Ausstellungen in Paris, der Fondation Gianadda, Zürich, Genf, Lausanne und zahlreichen anderen Orten. Renommierte Museen im In- und Ausland stellen ihre frischfröhlichen Farbcollagen aus. Sie wird vom Fernsehen und der Presse gefeiert, ihr Schaffen mit einem Film gewürdigt. In Belgien erhält sie königliche Orden. Für die Luxusmarke Hermès kreiert sie eigens einen Foulard «Découpages». Auch die Prominenz von Gstaad gehört von nun an zu ihrer Stammkundschaft. «Ich bin erstaunt, dass ich so viel Erfolg hatte», lacht Anne Rosat.
Ferien im Pays-d’Enhaut
Anne Colin wurde 1935 in den belgischen Ardennen geboren, sie wuchs mit zwei Brüdern in Bruxelles auf. Als Fünfjährige erlebte sie den Beginn des Zweiten Weltkriegs und den Einmarsch der deutschen Wehrmacht. Es folgte eine traumatische Flucht zu Fuss bis an die französische Grenze. «Meine Mama warf sich bei einem Bombenangriff mit mir in einen Strassengraben und schützte mich mit ihrem eigenen Körper», erzählt sie sichtlich aufgewühlt. «Nach dem Krieg wurde ich nach dem Willen meines Papas Lehrerin, obwohl ich lieber Krankenschwester geworden wäre.» 1957 kam sie mit einer Freundin ferienhalber nach Château-d’Oex, wo sie bei einem «thé dansant» Aloïs Rosat kennenlernte. Nach seiner Heirat 1958 liess sich das Paar in Les Moulins nieder, wo sie ein eigenes Heim bauten und drei Kinder aufzogen. Anne Rosat arbeitete als Stellvertreterin an verschiedenen Schulen der Region. «Die Kinder brachten mich dazu, das Pays-d’Enhaut zu lieben», unterstreicht Anne Rosat.
Wie alles begann
Als Antiquitätenhändler verkaufte Aloïs Rosat 1969 für einen Kunden eine Scherenschnittsammlung mit Werken der Altmeister Louis Saugy und Johann Jakob Hauswirth. Am liebsten hätte er eines dieser bemerkenswerten Kunstwerke für sich behalten – «aber eben, wir konnten es uns nicht leisten», erzählt Anne Rosat weiter. Da habe sie ihm zuliebe spontan eine Kopie geschnitten und sie ihm geschenkt, schmunzelt die Künstlerin. Das war offensichtlich ein Volltreffer. «Ein bekannter Sammler hat davon Wind bekommen und mich ermutigt, mehr Scherenschnitte dieser Art zu fertigen. Er wollte sie alle haben!» Anne Rosats farbige Collagen erregten bald Aufsehen in der Kunstszene der Region. «Der Gstaader Arzt Rolf Steiger war einer meiner ersten Förderer, ich schulde ihm viel», sagt sie mit Nachdruck. «Von Anfang an glaubte er an mich.» Ihre erste Ausstellung fand 1970 in Lausanne statt.
Immer noch motiviert
Auf die Frage, was sie nach so vielen Jahren noch immer zum Kunstschaffen motiviere, meint sie schlicht: «Kreieren macht mir enorm Spass, ich konnte mein Hobby zum Beruf machen. Es hilft mir, meine Gedanken zu ordnen und auszudrücken. Ausschneiden fällt mir leichter als Worte – es ist meine Art, Poesie zu schreiben.» Nach einer kurzen Denkpause fügt sie jedoch hinzu: «Es erlaubt mir auch, anderen zu helfen. Wenn ich mein humanitäres Engagement in Afrika nicht hätte, würde ich wohl weniger schneiden.» Sie glaube an das Positive im Menschen, dass es für alle einen Weg gebe, sinniert die Künstlerin. Moralische Werte, Empathie und Rücksicht gegenüber den Mitmenschen gehörten zu ihrem Weltbild, welches durch die Pfadfinderbewegung ihrer Jugendzeit stark geprägt worden sei.
Der Verein Maïa
Seit vielen Jahren engagiert sich Anne Rosat konsequenterweise in humanitärer Arbeit. Sie arbeitete im administrativen Bereich einer internationalen Organisation in Paris, in Bruxelles präsidierte sie die Stiftung Anne et Aloïs Rosat-Colin. Während einem Einsatz in Burkina Faso lernte sie 2001 die Vereinigung Maïa kennen, welche die Besserstellung von Frauen und Kindern in ländlichen Dorfgemeinschaften zum Ziel hat. Sie gründete darauf den Verein Maïa Suisse, um die nötigen Mittel für diese Arbeit aufzubringen. «Viele meiner Einkünfte gehen in dieses Werk», sagt die Künstlerin bescheiden. «Bis heute konnten zahlreiche Projekte in den Bereichen Gesundheit, Erziehung und Einkommensgenerierung realisiert werden.» Die rüstige Seniorin reist mindestens einmal jährlich nach Burkina Faso, um die Projekte zu besuchen – auch im Jubiläumsjahr.
www.maia.suisse.ch
Die Jubiläumsausstellung findet bis zum 23. März in der Galerie Paltenghi in Château-d’Oex statt. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 14 bis 19 Uhr und Samstag von 14 bis 19 (und auf Anfrage)