† Fritz Gyger

  15.02.2019 Familie

Aus meinem Leben erzählt
Am 27. Oktober 1924 bin ich von meinen Eltern Samuel und Maria Gyger-Kopf zum ersten Mal in die Arme genommen worden. Wir wohnten damals in der Bissen.

Mein Vater war zeitlebens Bahnarbeiter im Sommer und Angestellter der Eisbahn im Winter. Um den Arbeitsweg meines Vaters zu verkürzen, zogen meine Eltern noch mit mir als Säugling ins Dorf hinunter.

Ich erlebte meinen Vater als ernsthaften und strengen Mann. Meine Mutter hatte ein liebes und gutmütiges Wesen, das mich ebenfalls geprägt hat.

Doch nicht nur bei meinen Eltern fühlte ich mich zu Hause. Sehr oft und sehr gerne war ich bei meinen Grosseltern Kopf. Dort hatte ich einen besonderen Platz, auch im Herzen der beiden, und hatte auf ihrem Bauernbetrieb meine Freude am Umgang mit den Tieren.

Schon bald folgte die Schulzeit in Gstaad. In den Monaten Mai bis September jedoch war ich Statterbueb auf dem Walig und dem Stalden. Als Lohn erhielt ich «es bitzi Chees», was für die wachsende Familie ein willkommener Zustupf war. Ich hatte nämlich inzwischen fünf weitere Geschwister, und zwar Käthi, Anneli, Rösi, Frieda und Lisely, bekommen.

An meinen Oberstufenlehrer Arnold Jaggi erinnere ich mich besonders gut. Er war ein strenger und guter Lehrer, ja, eine Respektperson für mich. Diese Strenge schätzte ich sehr und ich gab mir entsprechend Mühe beim Lernen, denn Zeit zum Lernen hatte ich nicht so viel. Es gab immer etwas zu tun – zum Beispiel Holz spalten. Oder eines Winters ging ich bei einem Bauern, der für drei Wochen im Militär weilte, das Vieh besorgen und erhielt dafür 5 Franken Lohn, was mich freute.

Die Konfirmation folgte, bei der Wert auf das Äussere und Innere gelegt wurde. «Me hett scho rächti Chleider gha, aber me hett sich no nid chönne so ychleide wie hüt!» Für meinen weiteren Lebensweg hat mir Pfarrer Gautschi das Wort aus 1. Timotheus 6,12 mitgegeben: «Kämpfe den guten Kampf des Glaubens. Ergreife das ewige Leben, wozu du berufen bist.»

Nach dem Schulaustritt ging es zuerst z Bärg. Während dieser Zeit, im Juni, wurde mein jüngster Bruder Gottlieb geboren. Von seiner Geburt habe ich zwar vernommen, aber gesehen habe ich ihn erst bei meiner Heimkehr im Herbst!

Ein Jahr in Cuarnens/Welschland folgte, bei dem ich Knecht bei einem Bauern war. Die ersten Wochen waren nach dem Wegzug von Gstaad noch von Längizyti geprägt. Doch schon bald fühlte ich mich bei dieser Familie daheim. Als das Jahr um war, bekam ich vom Bauern das Angebot, gegen mehr Entlöhnung noch ein weiteres Jahr zu bleiben. Dieses Angebot schlug ich jedoch aus, denn ich wusste, dass ich auch nach einem weiteren Jahr nicht mehr Französisch gesprochen hätte. Die Bauernfamilie sprach nämlich Schweizerdeutsch … Ich freute mich, dass mich meine Eltern nach dem einjährigen Aufenthalt persönlich abholen kamen. Interessant ist noch zu erwähnen, dass meine Eltern den ganzen Lohn in Empfang nahmen und dieser so der ganzen Familie zugute kam.

Vor meiner RS habe ich in verschiedenen Bauernbetrieben ausgeholfen. Beim Oldenwirt Müllener, der nebst dem Hotelbetrieb noch einen Hof führte, war ich von 1942 bis 1944 angestellt. Fürs Heuen war ich allein verantwortlich, erhielt aber die gelegentliche Mithilfe eines Angestellten. Ebenso machte ich Erfahrungen beim Aushelfen im Hotel.

Mit 20 Jahren folgte die viermonatige RS in Thun und der anschliessende viermonatige Aktivdienst in Nussbaumen AG. «I weiss nome no, am Samschtig symer vor RS entlah worde, ond woni bi heimcho, isch ds Ufgebot füre Aktivdienscht scho da gsy!» Diese Tatsache habe ich einfach angenommen, es war Kriegszeit.

Zur Bahn hat es mich nie gezogen, aber als 1945 bekannt wurde, dass eine Stelle im Aussendienst frei wird, bin ich halt angetreten! Der Aussendienst beinhaltete vor allem die Arbeit als Rangierer. Ich schätzte es sehr, selbständig zu arbeiten und auch draussen zu sein. Es ergaben sich auch immer wieder Kontakte mit Reisenden und Gästen, deren Gepäck ich verlud und auslieferte. Im Güterschuppen waren wir eine vierköpfige Mannschaft, von denen immer einer im Dienst stand.

Mit zirka 22 Jahren lud mich ein Schwager (Frautschi) ein, in der Musikgesellschaft Gstaad, die damals noch unter dem Namen «Militärmusik» bekannt war, mitzumachen. So habe ich dank ihm und meinem S-Horn vieles erlebt: Übungen, Konzerte, Einsätze – all dies brachte einiges an Bewegung in mein Leben. Sehr genossen habe ich jeweils die Ständli, die wir einer Mitbürgerin oder einem Mitbürger zu einem hohen Geburtstag darbrachten.

Als ich 26 Jahre alt war, haben meine Eltern noch den damals dreijährigen Pflegesohn Walter Wehren angenommen. Weil ich noch zu Hause wohnte, wieder in der Bissen, wo meine Eltern als Schulhausabwart verantwortlich waren, war ich oft mit Walter zusammen und hatte Freude am neuen Bruder.

1950 begegnete mir jemand Besonderes. Nach einem Theaterabend im Bellerive hat es sich ergeben, dass wir zu viert nach Hause liefen. Unter den drei Begleitenden befand sich eine junge Aargauerin namens Rosmarie Thut, die als Hausangestellte in Gstaad weilte. Diese Frau eroberte mein Herz und wir durften uns 1954 die Hand zum Ehebund reichen. Wir wohnten zuerst im Gschwend. Zwei Jahre später wurde uns unsere einzige Tochter Marianne geboren. Sie war für uns ein besonderes Geschenk und eine Freude. Wir zügelten noch zweimal, bevor wir dann 1975 ins selbst erbaute Haus in der Kählen zogen.

Am 10. November 1951, als ich verantwortlich war für den Rangierdienst, befand ich mich auf der Plattform eines Wagens auf der Bremse. Es wütete gerade ein Föhnsturm, der einen anderen Wagen, der sich ungebremst auf dem Geleise oberhalb befand, ins Rollen brachte. Jener fuhr in den zu rangierenden Zug hinein und erfasste auch mich. Ein kurzes Zitat aus dem «Anzeiger von Saanen» vom 15. November 1951: «Der leere, ungedeckte Wagen kippte um und klemmte dabei den Weichenwärter Fritz Gyger auf dem Bremsstand des Kohlenwagens ein. Wie durch ein Wunder ist er mit dem Leben davongekommen, allerdings nicht ohne einen komplizierten Unterschenkelbruch und, wie nachher im Spital eine Röntgenaufnahme ergab, eine Rippenfraktur erlitten zu haben.» Nach einem viermonatigen Spitalaufenthalt musste ich weitere acht Monate warten, bis ich die Arbeit wieder aufnehmen konnte. Zurück blieb eine lebenslängliche, leichte Behinderung beim Gehen. Ich war danach nur noch zu 80 % angestellt, setzte mich jedoch weiter hundertprozentig ein und war dankbar, überhaupt wieder arbeiten zu können.

Die Schmerzen vom Unfall als 27-Jähriger hörten nie ganz auf. Im Einverständnis mit meinem Arzt entschied ich mich, mit 60 Jahren in Frühpension zu gehen. Die Anfrage, ob ich mich noch als Milchkontrolleur betätigen wolle, bejahte ich und hatte auf diesem Weg Kontakt zu vielen Bauern. Überhaupt schätzte ich es, dass auch nach meiner Pensionierung die Geselligkeit nicht zu kurz kam. Dank der Musikgesellschaft Gstaad und später dank dem kleinen, monatlichen Treffen mit meinen Klassenkameraden blieb ich lange unter den Leuten.

Ein ganz besonderes Ereignis war für uns 1993 die Geburt unseres Grosskindes Alexandra. Sie erhellte unseren Alltag bei ihren Besuchen immer neu.

Mit zunehmendem Alter kam es ab und zu vor, dass ich wieder eine Zeit lang im Spital oder in einem Altersheim verweilen musste. Doch jedes Mal war und bin ich so dankbar, dass ich stets wieder nach Hause gehen konnte und von Rosmarie liebevoll umsorgt werde.

FRITZ GYGER, 2012/13

* * *
Nach einem Sturz in seinem geliebten Zuhause Anfang Oktober letzten Jahres wohnte Fritz nach kurzem Spitalaufenthalt im Maison Claudine Pereira. Am 31. Dezember 2018 durfte er im Beisein seiner Familie ruhig einschlafen.

SEINE FAMILIE


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